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Praxis - Religion und Gesellschaft

oe1, Do, 25.02.2016, 14:01 | Kurt Ceipek

Die politische Ausrichtung der für Religion zuständigen Redaktion des ORF ist – höflich ausgedrückt – nicht unumstritten. Viele aufmerksame ORF-Konsumenten argwöhnen, die Mehrzahl der Redakteure habe sich zur Aufgabe gemacht, christliche Religionen in schiefes Licht zu rücken, während beispielsweise islamische Organisationen mit Glacéhandschuhen getätschelt werden

Die Religionssendung „Praxis – Religion und Gesellschaft“ war ein Musterbeispiel zur Bestätigung dieses Verdachts. 40 Minuten lang dauert diese Nachmittagssendung in Ö1. Eröffnet wurde die jüngste Sendung mit einem sich scheinbar ewig in die Länge ziehenden Beitrag über „Türkische Imame in Österreich - Die muslimisch-türkische Organisation ATIB“.

Die Sendung war gemacht wie ein Belangsendung der türkischen Regierung, die über die umstrittene Organisation ATIB mehr als fünf Dutzend in Österreich arbeitende Imame finanziert. Form und Inhalt dieses Beitrags waren Hofberichterstattung peinlichster Natur.

ATIB residiert in einem fünfstöckigen Bau in Wien-Favoriten, berichtete Andreas Mittendorfer langatmig. Nach einem Marsch durch einen langen Gang sei er im Sekretariat der ATIB-Zentrale freundlich empfangen worden. Ganz besonders wohlwollend hebt der Berichterstatter hervor, die freundliche muslimische Sekretärin habe kein Kopftuch getragen.

In der Folge wird ein lieber und harmloser Verein beschrieben, der einen Kindergarten mit dem entzückenden Namen „Marienkäfer“ betreibt. In diesem Kindergarten werde (auch) deutsch gesprochen. Ein Restaurant gehört ebenfalls dazu, in dem die Türken gerne Tee trinken und plaudern. Auch ein Studentenheim und viele andere türkisch-islamische Einrichtungen finden sich in dem riesigen Gebäudekomplex. Im Sitzungssaal des 1990 gegründeten und österreichweit rund 50.000 Mitglieder zählenden Vereins ATIB hängt eine rot-weiß-rote Fahne. Natürlich neben der türkischen Nationalflagge und einem Bild Atatürks. Der Sitzungssaal – so verrät der Berichterstatter – ist in dunklem getäfelten Holz gehalten. Solid und eindrucksvoll.

Das Interview gewährt der ATIB-Vorsitzende in türkischer Sprache. Damit könnte man kritischen Fragen gut ausweichen, aber solche Fragen wurden ohnehin nicht gestellt. Die türkischen Mitmenschen hätten ein Recht darauf, religiöse Unterstützung in ihrer Muttersprache zu bekommen, betonte der Vorsitzende unter anderem. Über einen solchen so harmlos klingenden Satz kann man nachdenken.

Dann folgt heftige Kritik am neuen österreichischen Islamgesetz, das unter anderem die Probleme mit den immer wieder zitierten Hasspredigern in den Griff bekommen soll. ATIB möchte aus verständlichen Gründen keine staatlichen Kontrollen ihrer religiösen Einrichtungen.

Insgesamt zeichnet der Beitrag ein überaus freundliches Bild eines harmlosen, sozialen und um Integration von Türken in Österreich bemühten Vereins. Schönfärberei in Reinkultur.

Diesem ersten Teil der Sendung folgt ein ebenso langer Beitrag mit dem Titel „Islamisches Österreich im Wandel“. Auch dieser Bericht ist freundlich und unkritisch und fast eine Werbesendung.

Nach so viel Islam war in der Religionssendung des ORF noch ein klein wenig Zeit für Christen. Aber hier herrscht ein völlig anderer Ton. Der dritte und letzte Teil von „Praxis“ befasste sich mit katholischen Priestern bzw. mit dem für den Oscar nominierten Film „Spotlight“. In diesem Film wird der Missbrauch von Kindern durch katholische Priester in den USA aufgearbeitet. Ein ausgezeichneter Film, der sich mit einem schwarzen Kapitel der katholischen Kirche befasst.

Das Problem das man als neutraler ORF-Hörer bei der Behandlung dieses Themas bekommt: Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als würde der ORF dieses Thema genussvoll zelebrieren und endlos auswalzen wollen. Natürlich darf man als Journalist ein solches Thema nicht unter den Tisch fallen lassen. Kindesmissbrauch gehört angeprangert und streng bestraft.

In der Öffentlichkeit erweckt der ORF allerdings den Eindruck, als sei Missbrauch das beherrschende Thema der Katholischen Kirche. Zumindest in der Berichterstattung wird alles andere völlig überlagert.

Was tatsächlich weitgehend unter den Tisch fällt ist, dass es Kindesmissbrauch auch in anderen Bereichen der Gesellschaft gibt. Wird ein solcher Fall in einem öffentlichen Heim aufgedeckt, dann bekommt man im ORF höchstens eine Kurzmeldung zu hören, wahrscheinlich aber nicht einmal das. Und wenn es sich gar um ein Heim der Gemeinde Wien handelt, wird ein kurzes Aufflackern der Empörung so schnell wie möglich wieder abgewürgt.

Klar ist: Kindesmissbrauch gehört – egal von wem er verübt wurde oder wird – in den Chronik-Teil eines Mediums, aber sicher nicht in eine Religionssendung. Und wenn man damit ein Kontrastbild darstellen möchte – hier der brave Islam, dort die bösen Christen – dann ist das für einen öffentlich-rechtlichen und von eben diesen Christen finanzierten Sender mehr als fragwürdig.