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Werner Grotte (ORF2 So, 19.05.2019, 22:15)
Im Zentrum

Als Journalist wie auch als ganz normaler Bürger fühlt man sich angesichts der Ereignisse der letzten drei Tage wie in einem bösen Traum: Da machen sich irgendwelche Leute an zwei aufstrebende österreichische FPÖ-Politiker heran, bezaubern sie in Urlaubslaune auf Ibiza mit schönen Frauen, einer Luxusvilla, viel Alkohol und gaukeln ihnen viel, viel Geld für ihre Partei vor. Wenn sie ihnen entsprechende Zusagen machen, falls sie in die Regierung kommen.

Im Polizeijargon würde man so etwas „Agent provocateur“ nennen, jemanden bewusst zu Straftaten zu verleiten, die dieser von sich aus nicht gesetzt hätte – und so etwas ist in Österreich (und auch in Spanien) verboten, etwa bei Drogenermittlungen.

So wie es ausschaut, war das eine „b’soffene G’schicht“ mit jeder Menge unnötigem, prahlerischem Balzgehabe einer angeblichen Oligarchen-Nichte gegenüber, die aber nie in tatsächliche Handlungen gemündet hat, schon alleine deswegen, weil es die Oligarchen-Nichte gar nicht gibt. Einziger Zweck der Übung: Man wollte die beiden potentiellen Mitglieder einer künftigen Regierungspartei durch heimliches Mitfilmen der feucht-fröhlichen Nacht bei Bedarf in der Hand haben  – der Stoff für einen zweitklassigen Agenten-Thriller. Wer is denn so bled…?

Tatsächlich passiert die Schweinerei aber. Mitschnitte des 2017 aufgenommenen Videos tauchen just eine Woche vor der EU-Wahl 2019, bei der patriotische Parteien sich gute Erfolge ausrechnen, über etablierte deutsche Medien wie „Spiegel“ und „Süddeutsche“ auf. Die wollen angeblich nicht wissen, von wem das Video stammt(!), dennoch publizieren nicht nur sie das hochexplosive Material. Auch alle anderen „seriösen Medien“ wie der ORF springen auf und sprengen ganz locker mit einem dubiosen Schmuddel-Video zweifelhafter Herkunft in nur wenigen Stunden eine bis dahin erfolgreiche und beliebte Regierung.

Weiß der ORF, was er tut? Wohl kaum, wie man „Im Zentrum“ am Sonntag Abend sehen konnte. Da saßen sich ÖVP-Medienminister Gernot Blümel, FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz und die drei Oppositions-Führerinnen Joy Pamela Rendi-Wagner (SPÖ), Beate Meinl-Reisinger (Neos) und Maria Stern (Jetzt) gegenüber und demonstrierten, dass Österreich in einen de facto Regierungsnotstand geschlittert ist: Die ÖVP will – selbst nach dem Rücktritt von Vizekanzler HC Strache und dem geschäftsführenden FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus – auch noch den Kopf von Innenminister Herbert Kickl. Dann dürften die anderen Regierungsmitglieder gnädigerweise bis zur Neuwahl im September bleiben. Wie Rosenkranz erklärte, werde man sich nicht den erfolgreichsten Minister herausschießen lassen, sondern wenn, dann geschlossen gehen. Und die drei Oppositions-Damen schossen wie die Hexen von Eastwick ihre Giftpfeile gleichermaßen gegen ÖVP und FPÖ ab.

Claudia Reiterer versuchte zwar, Ordnung in die von Anfang an unstimmige Diskussion zu bringen, scheiterte aber kläglich, weil die drei Grazien keine Gelegenheit ausließen, Blümel oder Rosenkranz unversöhnlich und permanent ins Wort zu fallen, sodass die beiden kaum einen geraden Satz ungestört herausbrachten. Geht es nach der Opposition, ist Kurz an allem schuld, die FPÖ sowieso indiskutabel und hat endlich bekommen, was sie verdient – und einer neuen Regierung wolle man unter Kurz auch nicht angehören.

Unterm Strich steht die Kurz-ÖVP jetzt ziemlich alleine da, die FPÖ leckt ihre Wunden, die Opposition hofft endlich wieder, auch wenn sie nicht genau weiß, worauf – und der Wähler und Medienkonsument fragt sich zunehmend, ob er nicht im falschen Film ist.

Wie kann es sein, dass mit einem so dubiosen Video nicht nur in einen aktuellen Wahlkampf eingegriffen, sondern gleich eine bis dato einzigartige Regierungskrise in Österreich angezettelt wird, die das Land über unbestimmte Zeit quasi aktiv unregierbar macht? Das bisherige Tempo der Bundesregierung bei der Realisierung wichtiger Vorhaben wird jäh gestoppt, auch wenn Rosenkranz versicherte, dass man bereits auf Schiene gebrachte Projekte natürlich umsetzen werde. Und dann?

Wie können Medien wie der ORF (von "Spiegel" und "SZ" gar nicht zu reden) aktiv an diesen Vorgängen mitwirken, ohne erst die Herkunft des belastenden Materials, dessen Zustandekommen und die tatsächlichen Verfehlungen der beiden FPÖ-Politiker Strache und Gudenus zu prüfen? Rein strafrechtlich wird für die beiden (ganz im Gegensatz zu den Herstellern und Verbreitern des Videos) wohl kaum etwas herauskommen. Weil ja alles nur hypothetisch war in diesem Video. Und genau das ist das Problem.

Eigentlich wäre es Sache der Medien wie auch der Sicherheitsbehörden, hier zunächst einmal die Verursacher und deren Intentionen auszuforschen, bevor man damit an die Öffentlichkeit geht. Stattdessen ein ganzes Land ins politische Chaos und zwei Politiker ins berufliche Nichts zu stürzen, zeugt nur davon, wie weit sich die mehrheitlich linksgesteuerten Medien, allen voran der ORF, mittlerweile vom journalistischen Berufsethos entfernt haben. Was hier passiert, hat nichts mehr mit investigativer Recherche zu tun, sondern nur noch mit übler Schmutzkübel-Berichterstattung ohne jede Skrupel.