ORF-Watch.at Die unabhängige Kontrolle des Gebührenmonopols


Markus Mair (ORF2 Do, 19.07.2018, 19:30)
Zeit im Bild

Seltsame Themenauswahl in ORF-Infosendungen: Gibt es für den ORF etwa zwei unterschiedlich berichtenswerte Arten von Antisemitismus?

Aktuelles Beispiel ist der mediale Umgang des ORF mit dem heutigen Vorfall des Angriffs eines Österreichers mit türkischem Migrationshintergrund auf zumindest einen Kippa tragenden Mann in Wien.

Obwohl sich dieser Vorfall schon am Vormittag ereignete, findet sich auf https://news.orf.at/#/stories/2447608/ nur eine sehr inhaltsleere und kurze Version dazu (Stand 20:00 Uhr). Auf der Wiener Webseite des ORF https://wien.orf.at/news/stories/2925476/ wird dann immerhin angegeben, dass ein mutmaßliches Opfer eine Kippa trug. Dass der mutmaßliche Täter einen türkischen Migrationshintergrund besitzt wird genauso verschwiegen, wie die Beschimpfungen, die der mutmaßliche Täter laut Zeugen auf Arabisch gegenüber dem Opfer ausgestoßen haben soll. Von weiterführenden eigenen Recherche der vielen hochbezahlten, sogenannten „Journalisten“ im ORF weit und breit keine Spur. Printmedien machen heute wieder einmal einen besseren investigativen Journalistenjob, als der 620 Millionen Euro an Gebühren teure ORF, da sie recherchieren und ihre Leserschaft deshalb über weitere Details informieren können und auch wollen.

Wenn der ORF schon in seinem Online-Auftritt keine Infos in seiner Österreich-Webseite bietet, sondern nur geringfügig mehr Details auf der Wiener ORF-Webseite, dann könnte man annehmen, dass der ORF diesen Vorfall nur als (unwichtigen?) regionalen Vorfall online abqualifiziert und ihn dann logisch auch nur im regionalen Wien-TV bringt.

Doch Fehlanzeige. In der gesamten Sendung Wien Heute wird kein einziges Wort über diesen Vorfall verloren. Andere Themen, wie das Anrainerparken im ersten Bezirk, ein neuer Radweg, Adleraufnahmen von Wien, sowie der Grasser-Prozess sind dem Wien-Heute-Team dagegen viel wichtiger. Sogar eine aufwändige Live-Schaltung vor das Landesgericht für Strafsachen wird inszeniert, um ja die mediale Berichterstattung zum Grasser-Prozess auch heute angemessen für die Seher in Wien zu zelebrieren.

Wenn der österreichische Gebührenzahler nun denkt oder erwartet, dass vielleicht die mit noch mehr „Journalisten“ teuer ausgestattete ZiB1-Redaktion über diesen mutmaßlich antisemitischen Vorfall auf offener Straße in Wien, also wirklich nicht weit weg vom Küniglberg, berichtet, wird er wieder enttäuscht. Die Spitzenmeldung der ZiB1 waren „Spekulationen im Fall Skripal“, sogar mit Live-Schaltung nach London. Das heißt, die wichtigste Aufmacher-Meldung war eine Meldung über „Spekulationen“! Aber bei dem Vorfall in Wien, wo natürlich auch noch nicht alle Details geklärt sind, da hält sich die ZiB1-Redaktion vornehm und total zurück. Mit welcher Begründung wird über eine Spekulation zu einem Kriminalfall in Großbritannien, der im Übrigen von keiner Relevanz für Österreich ist, groß berichtet und über die naheliegende Spekulation in Wien nicht berichtet, dass der Vorfall einen mutmaßlich antisemitischen Hintergrund besitzt und aufgrund des türkischen Migrationshintergrundes des mutmaßlichen Täters auch über einen islamistischen Hintergrund spekuliert werden kann?

Nach welchen Kriterien lässt der ORF Berichte über Spekulationen in seinen „Nachrichten“-Sendungen zu?

Das wichtigste Thema im Österreich-Block der ZiB1 war die fortgesetzte Kasperle-Story zur Liste Pilz, dass Frau Bißmann aus dem Klub ausgeschlossen wurde.

Das Nichtberichten über diesen Vorfall ist ein weiterer Beweis, dass der ORF mit seiner Themenauswahl seiner gesetzlichen Pflicht zur objektiven Berichterstattung nicht nachkommt und (vermutlich/vielleicht) nach subjektiven Interessen bzw. politischer Ausrichtung der Redaktionen bzw. deren Mitglieder Politik machen will, oder diese beeinflussen will.

Es zeugt auch von gehöriger Doppelmoral, hier den offenen, gewaltbereiten, mutmaßlichen
Antisemitismus nicht zu thematisieren, aber in den „Liederbuchaffären“ ausführlichst, schnell und über jedes noch so unwichtige Detail fast täglich über Wochen und Monate zu berichten.

Eine Kernfrage lautet daher: Gibt es für den ORF zwei unterschiedlich berichtenswerte Arten des Antisemitismus?

Eine alternative Erklärung für das konsequente Nichtberichten bzw. Verschweigen dieses Vorfalles heute sowohl in Wien Heute, als auch in der ZiB1 könnte sein, dass der ORF derart langsam arbeitet, dass erst morgen oder in den nächsten Tagen darüber im TV berichtet werden wird.

Beides ist aus Sicht der Gebührenzahler nicht mehr länger akzeptabel!

Zur politischen Dimension dieses Vorfalls darf festgehalten werden, dass sogar der Bundeskanzler im Laufe des Tages schon Stellung bezogen und sich gegen jegliche Form des Antisemitismus in Österreich per Twitter ausgesprochen hat. Auch das spricht für die mediale Relevanz dieses Vorfalls, weshalb der ORF darüber heute zu berichten gehabt hätte.

Dass auch der ehemalige Parteichef der Grünen und der aktuelle Bundespräsident einer knappen Mehrheit der Österreicher den ganzen langen Tag hindurch keinen einzigen Pieps zu diesem Vorfall von sich gab, ist zwar demaskierend, kann aber auch nicht als Entschuldigung für den ORF herhalten, nicht darüber im TV zu berichten.