ORF-Journalistin Susanne Schnabl gehört zweifellos zu den Guten. Sie sorgt sich angesichts von Donald Trump, Victor Orbán und dem europaweit um sich greifenden „Populismus“ öffentlichkeitswirksam um unsere Demokratie und um die nicht mehr vorhandene Streitkultur. Das ist lobenswert. Und weil ihr das ein so großes Anliegen ist, hat sie sogar ein Buch darüber geschrieben.
Darin fragt sie sich: „Aber was passiert, wenn das Entweder-Oder-Denken immer mehr um sich greift?“„Was hat uns, wie wir miteinander umgehen und kommunizieren, wie wir Themen verhandeln oder eben auch nicht, bloß so ruiniert?“ Der ORF kann es nicht gewesen sein, der ist ja objektiv und unabhängig. Sagt zumindest der ORF. Und der muss es wissen.
Man muss sich aber keine großen Gedanken machen, denn Frau Schnabl liefert die Antworten in ihrem Buch gleich mit: „Die Besser- und Alleswisser haben die Mehrwisser abgelöst.“ Ich als dummer Alles- und Besserwisser glaube zu wissen, dass sich Frau Schnabl zu den Mehrwissern zählt. Wobei ich als Alles- und Besserwisser auch glaube zu wissen, dass die selbsternannten Mehrwisser davon überzeugt sind, alles besser zu wissen als die Alles- und Besserwisser.
Dass Frau Schnabl mehr weiß, zeigt sich auch daran, dass sie die Probleme unserer Zeit nicht nur erkannt, sondern auch gleich mehrere Lösungen parat hat. Zuerst einmal muss man sich die Frage stellen, wie wir wieder miteinander in ein Gespräch kommen, „und das auf Augenhöhe, trotz unterschiedlicher Meinung?“ Wie das geht? Ganz wichtig ist, „dem anderen zuhören, sich austauschen.“ Denn: „Wenn das tägliche Drama das letzte Minimum an Sachlichkeit ablöst, Argumente gar nicht mehr zählen und es fast ausnahmslos nur mehr um entweder-oder, gut oder böse geht, wäre es jetzt an der Zeit, einmal tief Luft zu holen.“
Diesen Ratschlag wollen wir gerne befolgen: Wir holen ganz tief Luft und sehen uns derart entspannt an, wie Frau Schnabl ihre guten Ratschläge in die Praxis umsetzt. Zu diesem Zweck ziehen wir uns ihr Interview mit Innenminister Herbert Kickl im Report rein. Schließlich wollen wir lernen, wie man sachliche Gespräche auf Augenhöhe führt, wie man dem anderen zuhört, ohne ihm ständig ins Wort zu fallen und wie man auf Argumente eingeht.
Theorie und Praxis, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Anspruch und Wirklichkeit können manchmal sehr weit auseinanderliegen. Sehr, sehr weit.
Das fängt schon damit an, dass sich Frau Schnabl zwar möglicherweise für eine Journalistin hält, aber wie eine linke Politaktivistin agiert. Sie führt keine Interviews, sondern ist auf Konfrontation aus, versucht ihren politischen Gegner aufs Glatteis zu führen. Nicht die Information der Zuseher steht im Vordergrund, sondern der Sieg über den Gesprächspartner. Zu diesem Zweck sind auch Fouls, Tricks, Verdrehungen, permanentes Unterbrechen, präpotentes Auftreten und die anderen sattsam bekannten Vorgehensweisen aus dem ORF-Repertoire erlaubt. Dass sie damit trotzdem kläglich scheitert, liegt daran, dass sie Kickl weder intellektuell noch rhetorisch gewachsen ist.
Ohne ihre vorbereiteten Fragen ist sie völlig hilflos, kann spontan keinen einzigen Konter von Kickl abwehren. Sie sollte schon aus Eigeninteresse versuchen, ein kritisches, aber sachliches Interview zu führen, denn in der direkten Konfrontation mit Kalibern wie Kickl hat sie ohnehin keine Chance. Ja mehr noch: Durch ihre Unbeholfenheit und ihre zur Schau gestellte Abneigung gegen alle nicht-linken Politiker bestätigt sie nur alle jene Vorwürfe, die gegen den ORF von kritischen Zeitgenossen erhoben werden. Die feine Klinge ist ihre Sache nicht.
Und wenn man schon eine linke Politaktivistin in Diensten des ORF ist, dann sollte man zumindest keine schmalzigen Bücher darüber schreiben, wie man fair miteinander und mit Andersdenkenden umgeht. Dafür ist Frau Schnabl definitiv die Falsche. Das dürfte auch der Grund sein, warum ihr Buch „Wir müssen reden“ nicht gerade ein Bestseller ist, obwohl der ORF fleißig die Werbetrommel gerührt hat. Die Alles- und Besserwisser sind nämlich nicht so dämlich, wie die Mehrwisser glauben.