So viele vielen Verdrehungen und Manipulationen mit jeweils heftigem Anti-Regierungs-Spin hätten die SPÖ-Spin-Doktoren nicht annähernd gut zusammengebracht, wie da in einer einzigen ORF-Meldung aneinandergereiht sind.
Schon in den Schlagzeilen heißt es spektakulär: "An Unis und Private: Regierung will Bürgerdaten freigeben". Noch dramatischer dann, wenn man einmal weiterklickt: "Erinnerung an Cambridge Analytica". Und (erst) wenn man ein weiteres Mal weiterklickt, erfährt man dann: "Bürgerdaten für die Forschung".
Die dabei vorgenommenden Verdrehungen im Einzelnen:
1. Es erscheint noch irgendwie harmlos, ist aber eindeutig unseriös, erst auf der dritten Seite das wichtigste Wort in den Titel zu geben, nämlich "Forschung", was natürlich alles dramatisch relativiert.
2. Im ganzen Text verschwiegen wird, dass Forscher immer schon an "Bürgerdaten" herangekommen ist. Denn in fast jede medizinische Forschung ist auch die Auswertung konkreter Fälle, also meist von Krankengeschichten involviert.
3. Besonders übel und wirklich übelster Lügenjournalismus ist der Vergleich mit "Cambridge Analytica". Bei diesem Facebook-Fall ist es erstens nur um Daten gegangen, die Menschen freiwillig bei einer App auf Facebook eingegeben haben, und zweitens um die kommerzielle Auswertung von Facebook-Daten, die noch dazu dann für politische Werbekampagnen verkauft worden ist. Das soll alles in Österreich eindeutig verboten sein.
4. Erst auf der zweiten Seite erfährt man, dass die Gesundheitsministerin eine Änderung der Gesezesvorlage will (jetzt einmal unabhängig davon, ob das überhaupt sinnvoll ist). Also ist die Schlagzeile "Regierung will" sehr weit von der Wahrheit entfernt.
5. Erst im vierten Absatz der dritten Seite versteckt findet man jene Information, die eigentlich die letzte Aufregung über den Zugang von Forschern zu Gesundheitsdaten nehmen müsste: Die Namen der jeweiligen Person sind total anonymisiert. Das bedeutet eindeutig eine Verbesserung zum jetzigen Zugang zu den papierenen Krankheitsgeschichten, wo gar nichts anonymisiert ist.
6. Einen besonderen Hass der offenbar klassenkämpferisch erprobten Schreiberlinge hat - weit prominenter als diese Anonymisierung - die Tatsache ausgelöst, dass nicht nur universitäre, sondern auch kommerzielle Forschung Zugang zu den anonymisierten Daten bekommen soll. Wer freilich auch nur ein bisschen Ahnung von medizinischer Forschung hat, wüsste, dass ohne die kommerzielle Forschung, dass ohne die Zusammenarbeit mit Pharma-Firmen die Medizin viele Jahrzehnte hinten nach wäre, wenn nicht noch mehr. Und damit auch alles, was die Medizin für die Menschen tun kann.
7. Dass neben der Opposition auch die Ärztekammer gegen das auftritt, was Universitäten und Forscher da an Regelungen brauchen, sollte nicht wirklich überraschen. Denn die Ärztekammer kämpft seit langem einen Atomkrieg gegen die elektronische Gesundheitsakte ELGA, freilich bisher aus ganz anderer - vielleicht sogar sinnvoller Motivation: Die Kammer fürchtet nämlich eine zusätzliche Belastung der Ärzte durch ELGA.
8. Ganz typisch für einen manipulativen Text ist, dass die Gegen-Stellungnahme (hier: des Wissenschaftsministeriums) so weit hinten versteckt wird, dass sie kaum noch gelesen wird.
9. Sehr gut versteckt wird auch die Information, dass trotz der Anonymisierung jeder einzelne Forschungszugriff erst genehmigt werden muss. Und dass jeder Missbrauch strafbar ist (völlig anders als jetzt beim Umgang mit den Krankengeschichten).
10. Eines möge der ORF nach diesem Kampf-Artikel jedenfalls nie mehr tun, damit man nicht an Gelächter erstickt: sich darüber beklagen, dass Österreich in Sachen Forschung immer weiter zurückfällt, dass Forscher in anderen Ländern viel leichter Zugang zu Daten erhalten, dass immer mehr junge Top-Forscher Österreich auf Nimmerwiedersehen Ade sagen. Genau solche Kampagnen wie diese sind ein Hauptgrund, dass Forschung in Österreich immer schwieriger wird.
11. Und das Allerwichtigste wird überhaupt nicht erwähnt: Es ist nicht durch Gold aufwiegbar, wenn wissenschaftlicher Fortschritt, neue medizinischer Erkenntnisse und Heilmethoden durch Auswertung statistischer Daten gewonnen werden können, und nicht nur durch Herumexperimentieren am lebenden Objekt. Das zufällig recht oft Menschen sind.
Nachträgliche Ergänzung: Im Gegensatz zu orf.at war die ZIB dann zu einem überraschend ausgewogenen Bericht zum gleichen Thema imstande. Manches mal geht es ja doch ...