Wenn Kanzler Sebastian Kurz einen ORF-Interviewer an sich heran lässt, ringt er sogar vielen seiner schärfsten Kritiker ein wenig Bewunderung ab. Selbst bei dümmsten Fragen und der x-ten Unterbrechung verliert er nie seine Ruhe und Gelassenheit. Er bleibt sachlich und höflich.
Wenn sich der Chef der im ORF höchst ungeliebten Bundesregierung „Im Journal zu Gast“ einem bissigen ORF-Interviewer stellt, hat vermutlich ein hochkarätiges Team an regierungsfeindlichen ORF-Redakteuren tagelang darüber gebrütet, wie man Kurz auf’s Glatteis führen oder in die Enge treiben könnte.
Das stellte Interviewer Edgar Weinzettl, Chef der Hörfunk-Innenpolitik, eindrücklich unter Beweis. Da hatte das Redaktionsteam mit Mühe substanzarme Vorwürfe gegen Kurz und die Regierung ausgegraben, wie ein Zitat der Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker, die gemeint hatte: „Ich habe noch nicht den Eindruck, dass sich die Regierung mit den echten Reformthemen auseinandergesetzt hat.“
Kurz dazu: „Als Rechnungshofpräsidentin sollte sie sich darüber freuen, dass es in dieser Republik nach über 60 Jahren erstmals möglich ist, keine neuen Schulden zu machen.“ Als ihm ORF-Weinzettl unverzüglich ins Wort fiel und wortreich versuchte, die erläuternde Antwort abzuwürgen, hatte man als Zuhörer das Gefühl: Jetzt muss dem Kanzler der Kragen platzen. Der sagte aber nur ruhig: „Lassen Sie mich bitte zuerst einmal den Satz fertig machen?“
Dann kam Kurz dem derzeit dümmsten Einwand der durch den ORF vertretenen Opposition zuvor, dass die derzeit herrschende Konjunktur eine Politik ohne neue Schulden gewissermaßen zum Selbstläufer mache. Kurz: Es habe in den vergangenen Jahrzehnten viele Jahre mit ebenso guter wenn nicht besserer Konjunktur in Österreich gegeben, dennoch sei ein Budgetdefizit gemacht worden. Kurz: „Es ist also nicht nur die Konjunktur.“
Das wollte Weinzettl nicht hören, also setzte er nach: „Beim Familienbonus von eineinhalb Milliarden stellt sich jetzt heraus, dass sich das durch die Steuerzahler durch die kalte Progression eh selber zahlen. Das hat die Innsbrucker Gesellschaft für angewandte Wirtschaftsforschung nachgerechnet. Das ist ja eigentlich ein Marketing-Gag.“
Kurz, noch immer ruhig und höflich: „Sie können immer versuchen, die Dinge falsch darzustellen oder zu verdrehen. Wir haben als Regierung sichergestellt, dass es eine Steuerentlastung gibt.“ Um dem Interviewer, nun schon mit leichtem Widerwillen in der Stimme aber dennoch ruhig, zu erklären, dass die Regierung nicht in den ersten 100 Tagen der fünfjährigen Regierungsperiode alle Vorhaben umgesetzt haben kann.
Dass der als besonders linksorientiert geltende Edgar Weinzettl – er war im Jahr 2012 von der Wiener SPÖ sehr energisch in die Funktion des Chefs für die Innenpolitik gehievt worden – dem Kanzler die jüngsten Hausdurchsuchungen bei FP-Gemeinderäten und andere „Vorfälle“ im Zusammenhang mit FP-nahen Personen unter die Nase reiben und zum indirekten Vorwurf machen würde war klar. Da drängte sich manchem Zuhörer die Frage auf, ob ein ORF-Interviewer einen SP-Kanzler mit der Affäre um einen Mostviertler SP-Funktionär, der nicht nur Hitler-Andenken und Waffen sammelte, sondern auch Kinder missbraucht haben soll, ähnlich penetrant bedrängt hätte.
Für den Schluss des Interviews hatte sich der ORF-Hörfunk-Innenpolitik-Chef den Vorwurf an Kurz aufgehoben, er sei medial äußerst präsent, aber während der sogenannten Liederbuchaffäre „untergetaucht“. Kurz dazu: „Bevor ich mich zu Wort melde versuche ich, mir ein Bild zu machen, ob es sich um Gerüchte oder um Fakten handelt.“
Es wäre hilfreich, wenn sich der ORF an dieses Rezept auch halten würde.