In der Talk-Show ist es nach längerem wieder einmal um „Sekten“ gegangen. Schon der Titel hat eher ahnen lassen, dass neuere religiöse Bewegungen eher an den Pranger gestellt werden. Denn das Wort „Sekte“ hat einen negativen, ja diffamierenden Beigeschmack. Immer wenn eine entsprechend neue religiöse Gruppe auf den Plan tritt und man im ORF und anderen Medien nicht weiß, wie und wo man sie einordnen soll, macht man die Lade mit dem diffamierenden Wort „Sekte“ auf und steckt sie hinein.
Als ich mein Theologiestudium 1965 abschloss, war dieses Wort noch gang und gäbe, gab es doch außerhalb der (katholischen) Kirche ohnedies kein Heil (extra ecclesiam nulla salus). 1959 war ich in ein Benediktinerkloster eingetreten. Wir Novizen waren sehr wohl Praktiken unterworfen, die man heute bei jungen Gruppen gerne anprangert: Alle aus- und eingehende Post wurde vom Oberen einer Kontrolle unterzogen. Wir mussten abgehende Briefe im offenen Briefumschlag abgeben und bekamen eingehende Post bereits geöffnet. Der Obere bestimmte, welche Bücher du lesen darfst und welche nicht. Irgendein Taschengeld stand uns nicht zur Verfügung, wurde doch für alles Notwendige gesorgt. Besuche daheim waren nicht vorgesehen, also auch nicht möglich. Wir wurden auch gelehrt, wenn jemand eine Gebetszeit (es gab deren sieben) freiwillig auslässt, begeht er eine schwere Sünde. Aber das alles war in dieser Situation auch für mein junges Verständnis Gottes Wille. Sollten wir doch die höchste Tugend lernen: Absoluten Gehorsam. In den Medien war darüber in jener Zeit nichts zu lesen oder zu hören, war doch die christliche bzw. Katholische Kirche ein entscheidender Machtfaktor in der Gesellschaft (Der legendäre Präses der Caritas, Leopold Ungar, bezeichnete in einer ORF- Diskussionsrunde die Orden als Sekten, die von der Kirche anerkannt waren.)
Seither hat sich manches, vieles, aber offensichtlich noch nicht alles zum Besseren verändert. Medienmacher wissen um den negativen Beigeschmack des Begriffes "Sekte", machen sich aber selten die Mühe, die Bezeichnung „Religiöse Bewegung“ um des Respektes willen einzuführen.
Es könnte nun jemand einwenden, man möge doch keine Wortklauberei betreiben und an solchen Kleinigkeiten herumhacken. Das mag schon sein: Doch ein bisschen Gift macht das gesamte Essen ungenießbar.
Herr Zöhrer (einziger Vertreter einer neuen religiösen Bewegung, der Vereinigungskirche, die nunmehr eine eingetragene Bekenntnisgemeinschaft ist) hat versucht, eine Bewusstseinsänderung im Hinblick auf den Begriff Sekte in die Diskussion einzubringen. Wenn eine Teilnehmerin meinte, dass dieses Wort eben im Sprachgebrauch der Bevölkerung seit langem und tief verankert ist, dann könne man nicht erwarten, dass es rasch aus dem allgemeinen Vokabular verschwindet.
Natürlich: Wenn Macher der öffentlichen Meinung – und der ORF macht ja auch Meinung – nicht dagegen aufstehen und ihrerseits das Wort „Sekte“ wie mit der Pfefferbüchse verstreuen, kann man wirklich nicht erwarten, dass sich etwas ändert. Heutzutage würde zum Beispiel niemand mehr das Wort 'Neger' in den Mund nehmen, was zu in meiner Kinderzeit nichts außergewöhnliches war.
Die Runde hat sich recht einseitig gezeigt: Von jenen, die zum genannten Themenspektrum gehören, ist nur Herr Zöhrer zu nennen. Alle anderen vier Teilnehmer sind eher dem anderen Lager zuzurechnen. Man fragt sich natürlich, warum nicht wirkliche Experten eingeladen waren: Professor Pokorny etwa vom Institut für Religionswissenschaft an der Uni Wien.
Neben einem Aussteiger, der seinen Aussagen zufolge wirklich missbräuchlichen Methoden zum Opfer gefallen ist, hätte doch auch gut jemand gepasst, der in positivem Sinn seine Heimat und sein Aktionsfeld in einer neueren spirituellen Bewegung gefunden hat.
Generell schien dieser Themenabend darauf hinaus zu laufen, alle neuen religiösen oder spirituellen Gruppen ohne Differenzierung in einen Topf zu werfen und en bloc sehr subtil und elegant zu verteufeln.
Auch die Mitglieder anderer religiöser Gruppierungen sind Staatsbürger, die Respekt verdienen, wie jeder andere Mensch auch; sie zahlen ihre Steuern und somit finanzieren sie den ORF mit, wie die anderen Bürger dieses Landes auch; sie unterliegen den Gesetzen, wie alle anderen auch. Nur in ihrem religiösen Bekenntnis scheinen sie in der öffentlichen und medialen Meinung immer noch nicht die allen zustehende Religionsfreiheit zu genießen.