"Tracht zwischen Kommerz und Tradition": Ein missglückter ORF-Versuch, den Großstädtern das Trachtentragen zu vermiesen. Den Redakteuren im ORF ist es auch aufgefallen: In der Millionenstadt Wien sieht man immer mehr Menschen, die Tracht und Dirndl tragen. Deshalb kommt man auf die "Wiener Wiesn" zu sprechen, also die Wiener Form des Oktoberfests.
Anmoderiert wird der Beitrag vom Vorarlberger Christoph Feurstein, mit der Bemerkung die er ernst und nicht als Witz vorbringt: Einig sind sich Soziologen: "Betont das Dirndl die weibliche Brust, so lenkt die Lederhose die Aufmerksamkeit auf den männlichen Schritt." Wer hätte das gedacht aber sind wir doch froh dass die Soziologen jetzt endlich drauf' gekommen sind.
In dem fast zehnminütigem Beitrag geht es um das von Feurstein vorgegebene Thema: "Kann ein modern denkender Mensch wirklich Tracht tragen oder ist es ein Statement für einen konservativen Heimatbegriff gefüllt mit ideologischem Ballast."
Und dann kommt gleich Frau Gexi Tostmann ins Bild, die Chefin der größten österreichischen Dirndlfirma, die in der Nähe des Attersees beheimatet ist. Frau Tostmann ist auch Volkskundlerin und weiß so gut wie alles zum Thema Tracht und Dirndl.
Die Fachfrau wurde vom ORF direkt zur Wiener Wiesn chauffiert um dort ihre Expertise zu erstellen, nach dem Motto: "Wie echt, wie authentisch sind die Trachten und Dirndln, die man in Wien unter dem Riesenrad trägt."
Wenig überraschend kommt Frau Tostmann zum Schluss, dass es mit der Authentizität nicht so besonders weit her ist.
Beinahe zufällig schwenkt die Kamera bei den Kurzinterviews auf der Wiener Wiesn immer wieder hinunter zu den Schuhen der Dirndlträgerinnen. Und, wenig überraschend kommt ins Bild: Die Großstädterinnen aus Wien tragen die falschen Schuhe: Von Trachtenschuhen ist da wenig Rede, sondern oftmals werden Sneakers getragen bzw. ganz normale Stöckelschuhe – welch ein Unterschied zu der Welt die Frau Tostmann gewohnt ist, sie selber sagt, dass sie vom Dorf kommt.
So kommt Frau Tostmann zu der Aussage: "Der Spruch von Vivienne Westwood 'Würde jede Frau ein Dirndl tragen, so gäbe es keine Hässlichkeit auf dieser Welt.' – der Spruch trifft hier sicher nicht zu."
Frau Tostmann lässt hier an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig!
Und kurz danach geht der Thema-Beitrag gleich weiter mit einem Blick in die Wolfgangsee-Gegend, wo man eine Familie ins Bild rückt wo man "echt" im Trachtentragen verwurzelt ist. Und hier sieht man es deutlich: Zu einem echten Dirndl gehören weiße Strümpfe und original Dirndl-Schuhe – die beim Wolfgangsee tragen das.
Weiters sieht man Interviews von einer Goldhaben-Trägerin u. dem Bürgermeister von St. Wolfgang wie er in mit einer Trachtengruppe samt Blasmusik auf der Straße zu sehen ist.
Man merkt den Versuch des Interviewers, einen Gegensatz, einen Konflikt zwischen den Trachten- & Dirndlträgern in der Großstadt Wien und den echten, originalen Trachtenträgern in den Dörfern rund um den Wolfgangsee her zu stellen. Die Interviewpartner gehen aber nicht darauf ein, sie sind selbstbewusst und stolz auf ihre Traditionen, aber sie lassen sich nicht zu abfälligen Bemerkungen über die Großstädter verführen.
Und natürlich wird in dem Thema-Beitrag auch auf das Thema "Nazis" eingegangen. 33 Sekunden lang wird über darüber berichtet, dass die Nazis vor über 70 Jahren ein "Dirndl für die deutsche Frau (mit Nazi-Gesinnung)" entwarfen und dieses Dirndl allen Frauen in Nazi-Deutschland empfahlen.
Und es wird auch erwähnt, dass Linke und Liberale (in einem Atemzug genannt) sich lange Zeit weigerten, Tracht und Dirndl zu tragen, dass sich das jetzt aber ändert. Gegen Ende des Thema-Berichts entsteht mehr und mehr der Eindruck: "Auch eingefleischte Linke resignieren jetzt – gegen die Begeisterung an der Tracht und Dirndl kann niemand etwas machen."
Die ORF-Redakteure verlieren hingegen beim Life-Ball in Wien, wo die gewagtesten und auch geschmacklosesten Verkleidungen zu sehen sind, keine Sekunde, um irgendetwas zu hinterfragen oder die ideologischen Hintergründe zu beleuchten. Da wird einfach gebetsmühlenartig von Toleranz geredet.
Ungleich kritischer um nicht zu sagen heuchlerischer ist man, wenn es um den "guten Geschmack" und Authentizität beim Dirndl-Tragen geht.
Die ORF-Interviewführung ist zu kritisieren:
Frau Tostmann, die ein gutgehendes Trachtenunternehmen führt, ist in Wahrheit froh und dankbar über die Renaissance und Akzeptanz des Trachtentragens auch mitten in der Großstadt. Ihre Firma profitiert davon umso mehr. Und dennoch lässt sie sich in lange Dialoge mit den ORF-Leuten ein, wo die wenigen kritischen, miesmachenden Äußerungen gegenüber Tracht & Dirndl für den Fernsehbeitrag herausgefiltert und verdichtet wurden, um die Botschaft rüber zu bringen: "Die Großstädter verstehen zu wenig vom Dirndl, sie haben zu wenig Tracht- und Dirndl-Stil."
Bei allen anderen Interviewpartnern aus dem Seengebiet im Salzkammergut ist der Versuch, einen Keil zwischen den Alpenbewohnern und den Großstadtbewohnern zu treiben misslungen.
Der Punkt ist doch der: Schon seit vielen Jahrzehnten zeigen sich am Wiener Jägerball und ähnlichen Bällen Prominente – auch von ganz Links, von der SPÖ usw. – in feinster Trachten- und Dirndlbekleidung.
Jetzt aber gibt es die Wiener Wiesn, wo über drei Wochen lang Tracht- und Dirndl auch das Wiener Straßenbild mehr und mehr beherrschen. Das ist für viele Alt-Linke schockierend. Es sei auch daran erinnert dass das SPÖ-Urgestein Hannes Androsch in seiner Wahlheimat Altaussee in seiner Tracht dort zum Alltag gehört.
Und dass vor kurzem Alexander Van der Bellen gemeinsam mit Gattin einen Auftritt beim Ausseer Kirtag hatte – selbstverständlich in der dort ortsüblichen Trachtenbekleidung.
Wir haben in Österreich eine freie Gesellschaft: Jeder kann sich anziehen, wie er will. Und dass man sich mit mancher Bekleidung besonders gut fühlt und damit auch willentlich oder unbewusst ein Statement abgibt – das ist in einer freien Gesellschaft möglich.
Heute haben auch Links-Grüne, SPÖ'ler, Menschen jeder Gesinnung, jeder Kultur, Nationalität und jeder Religion großen Spaß am Trachten- und Dirndltragen! Und das ist gut so. Einem jeden Menschen sei die Freude an seiner Kleidung vergönnt!
Der offensichtliche ORF-Versuch, das Trachten- und Dirndltragen auch in der Millionenstadt Wien durch allerlei kritische Anmerkungen zu vermiesen, und der Versuch, durch eine einseitige, tendenziöse Interviewführung einen Keil zwischen Stadt- und Landbewohnern zu treiben, ist gründlich misslungen!