Der ORF jubiliert quer durch alle Formate über die neue griechische Regierung und ihre fortschrittliche Wirtschaftspolitik. Dieses keynesianisches Wirtschaftsprogramm wird Griechenland und den Euro aus der Krise führen, da sind sich alle „Experten" einig; zumindest alle Experten“, die der ORF fragt.
Diejenigen, die am Sonntag „im Zentrum“ geladen waren, ein Wirtschaftsprofessor und ein „Börsenguru“, sind das perfekte Beispiel. Zunächst mal geben die beiden Herrn aus Deutschland – in einer eigenartigen Mischung aus gnadenloser Selbstüberschätzung und einem gigantischen Schuldkomplex für alles – ihrer eigenen Regierung die alleinige Verantwortung für die griechische Tragödie. Als ob nur die Politik und nicht der normale wirtschaftliche Hausverstand die Griechen mit ihren 180 Prozent Staatsverschuldung gemessen am BIP zu Einsparungen auffordern würde. Stellen Sie sich mal vor, Sie hätten Schulden von knapp zwei Jahresgehältern und müssten dann in eine kleinere Wohnung umziehen. Wer ist schuld daran, Sie oder die Bank?
Aus dem Blickwinkel des großen britischen Ökonomen John Maynard Keynes macht der Vorwurf des „Kaputtsparens“ sogar irgendwie Sinn. Denn der glaubte, dass Wirtschaftskrisen im Grunde nur sogenannte Liquiditätsengpässen sind, dass also gerade aus irgendwelchen Gründen nicht genug Geld in Umlauf ist, um all die Waren, Dienstleistungen und Schulden zu bezahlen, die am Markt herumliegen. Und hätten wir alle mit einem Schlag 10.000 Euro auf dem Konto, wäre das Problem gelöst (stark vereinfacht formuliert).
Keynes hat sich nie ernsthaft mit der Frage auseinandergesetzt, warum eigentlich diese überzähligen Waren überhaupt da sind. Vielleicht haben Firmen und Private weit über die eigentliche Nachfrage hinaus Dinge produziert, die kein Mensch braucht und dafür Kredite aufgenommen, die niemand zurückzahlen kann. Vielleicht waren die Sparzinsen in den Jahren davor künstlich herabgesenkt, damit die Leute nicht sparen, sondern investieren und konsumieren. Bis irgendwann dieses Missverhältnis von zu vielen Waren und zu wenig Geld zum großen Crash führt. So geschehen 1929, als Keynes seine Theorie aufstellte. Doch er beschäftigte sich mit der Lösung des Problems und nicht dem Problem an sich. Und weil sich seine Lehre flächendeckend durchgesetzt hat, beglücken uns seine Jünger bis zum heutigen Tage mit seinen Weisheiten. Doch diese Jünger verstehen noch weniger von den wahren Ursachen von Wirtschaftskrisen wie er selbst.
Knapp achtzig Jahre wurden größere und kleiner konjunkturelle Schwächeperioden nach dem keynesiansichen Muster übertaucht, das eben nur Symptome bekämpft, aber nicht die Ursachen. Und nun sitzen wir vor einem riesen Scherbenhaufen, der nun beim besten Willen nicht mehr auf einen „Liquiditätsengpass“ zu reduzieren ist. Die viel gescholtene, von den bösen Deutschen aufgezwungene Sparpolitik ist ein Versuch, die Ursachen anzugehen, oder zumindest die zuständige Regierung zu ermutigen, es zu tun. Denn der „reiche Norden“ ist nicht schuld daran, dass der „arme Süden“ in Sachen Rechtsstaatlichkeit irgendwo in der Gegend von Jordanien und Kuwait rangiert, weit abgeschlagen hinter Tuvalu und Botswana.
Wegen der Sparpolitik, so jammern „Experten", sind auch die griechischen Löhne um 30 Prozent eingebrochen. Und trotzdem, so hören wir nur Minuten später aus demselben Munde, sind die Lohnstückkosten, also was der Arbeitgeber brutto für eine Arbeitsstunde bezahlen muss, immer noch ein Drittel höher als in Deutschland oder Österreich. Auch dafür kann die deutsche Regierung nicht wirklich etwas dafür.
Frau Thurnher erfreute mit der besten Zwischenfrage des Abends, ob denn nicht ein Schuldenschnitt, eine Abkehr vom Sparkurs und neue Kredite für Griechenland etwas in Gefahr bringen, was wir hierzulande doch über Jahrzehnte lieb gewonnen haben, nämlich die harte Währung? Der Herr Wirtschaftsprofessor greift sich fassungslos an den Kopf: Die Hartwährungspolitik sei wörtlich der grandioseste Irrtum überhaupt.
Dieser grandiose Irrtum ist der Grund, warum Deutschland nicht Griechenland ist. Die Sorgenkinder des Euro-Raums waren stets auch die mit einer schwachen Währung und den vielen Nullen auf den Geldscheinen. Wann immer der Wettbewerb mit anderen Ländern zu Reformen hätte führen müssen, zu geringeren Lohnabschlüssen für die Gewerkschaften, wettbewerbsfreundlicheren Steuern, geringeren Staatsschulden oder ähnlichem haben diese Länder statt dessen die Druckmaschinen angeworfen, ihre Währung abgewertet und sich so um unangenehme Entscheidungen gedrückt. Die Deutschen haben über Jahrzehnte diese strukturellen Reformen Stück für Stück vorgenommen, nicht etwa, weil sie so ein tugendhaftes Volk sind, sondern weil ihre Bundesbank eben diesen Währungsmanipulationen einen Riegel vorgeschoben hat.
Dieser grandiose Irrtum ist der Grund, warum wir überhaupt sparen. Denn wenn wir um die Wirtschaft anzukurbeln alle von der EZB 10.000 Euro überwiesen bekommen, wie der Herr Professor vorschlägt, was wäre so verkehrt daran? Die Preise würden schuppdiwupp in genau diesem Verhältnis steigen und unsere Ersparnisse in eben diesem Verhältnis ihren Wert verlieren. Warum heute auf etwas verzichten und nicht verjubeln, wenn es morgen weniger wert ist?
An den Lohnnebenkosten in Griechenland wird das nichts ändern. Nur das Vertrauen in den Euro hätte gelitten. Aber das hat es sowieso schon. Seit dem Wahlausgang in Griechenland, wurden dort 4 Milliarden Euro privater Spareinlagen abgehoben. Offensichtlich sind die Griechen nicht ganz so zuversichtlich wie die ORF-„Experten", was den Kurs ihrer neuen, vom Kommunismus inspirierten Regierung betrifft, und sie bringen ihr Gerstl noch schnell in Sicherheit. Diese Sorgen hatte der Wirtschaftsprofessor aus dem Land mit dem stupiden Hartwährungswahn wohl nie.