„50 Jahre Gastarbeiter aus der Türkei“ war das Motto der „Im Zentrum“-Diskussionsrunde am Sonntag Abend. Ingrid Thurnher hatte dazu Außenminister ÖVP-Sebastian Kurz, die türkischstämmige grüne Integrationssprecherin Alev Korun, die Sprecherin einer Bürgerinitiative gegen den Bau einer Moschee in Wien-Brigittenau, einen Aktivisten des Pro-Erdogan-Vereins „New Vienna Turks“ sowie einen türkischstämmigen Soziologen und Integrationsexperten zu Gast.
Es ergaben sich in der teils äußerst lebhaft geführten Konfrontation erstaunliche Allianzen; so waren sich etwa Kurz und Korun zum Thema Erdogan-Besuch erstaunlich einig. Beide betrachteten es als Frechheit, einen quasi Staatsbesuch ohne Kontakt zum Bundeskanzler oder –präsidenten zu aktivieren und stattdessen als Wahlkampf-Pointe die jubelnden Anhänger als Nachfahren jener Heerführer zu bezeichnen, die Wien einst belagern ließen.
In einem Edogan-Portrait wurde eine bemerkenswerte Aussage des türkischen Premiers gezeigt, wo dieser öffentlich erklärte, „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufspringen, bis wir am Ziel sind“. Schon bald entspann sich daher auch ein Argumentations-Duell zwischen dem „New Vienna Turks“-Sprecher und Außenminister Kurz – Moderatorin Thurnher wurde mehrfach bei Unterbrechungs-Versuchen abgewürgt. Es ging vor allem um das Thema „Integration“. Kurz meinte, es sei jahrzehntelang nichts passiert; erst in den letzten Jahren arbeite man zunehmen an Programmen, Einwanderern, vor allem Frauen, Perspektiven in Sachen Ausbildung und Bildung zu ermöglichen.
Gelten doch Türken als jene Immigranten-Gruppe mit dem mit Abstand höchsten Anteil an Nur-Pflichtschul-Absolventen, Sprachmängeln und Analphabetismus; 80 Prozent der Kindergartenkinder etwa haben sprachliche Defizite, der Anteil an nichterwerbstätigen und damit gesellschaftlich isolierten Frauen ist hier besonders hoch – trotz Gratis-Deutschkurse. Es war die Rede von einer Schule im 20. Bezirk, in denen von 100 Schülern 99 türkischstämmig seien. Österreichische Eltern hätten ihre Kinder wegen zunehmenden Niveau-Abstieges sukzessive abgemeldet und in teure Privatschulen gesteckt; die Schüler sprechen untereinander türkisch.
Trotz ausgewogener Besetzung und vielfach guter Argumentationen ergab sich leider (ungewollt?) ein recht einseitiges Bild der Lage: Österreich soll/muss jede Menge Angebote, die viel Steuergeld kosten (Kindergarten-Förderung, Sprachkurse, Integrations-Initiativen etc.) liefern, quasi als Bringschuld; die Türkische Gemeinschaft hingegen wolle sich – wie von Erdogan befohlen – zwar integrieren, aber nicht assimilieren. Und irgendwie eh unter sich bleiben, weil ja in Österreich niemand etwas für die vielen türkischstämmigen „Wertkonservativen“ (etwa junge Frauen, die gerne den Schleier tragen) eh keiner Verständnis zeige und diese sich daher „nach innen“ orientieren, wie der „New Turks“-Sprecher erklärte.
Wer jemals in einem anderen Land gearbeitet hat oder gar ausgewandert ist, wird ob solcher Aussagen nur den Kopf schütteln. Welches Amt oder gar Ministerium in Belgien, den USA oder Argentinien würde auch nur einen Cent dafür ausgeben,wenn ein Einwanderer aus Österreich nicht gewillt oder fähig ist, die Landessprache zu lernen? Welches Amt würde sich darum kümmern, dass Kinder, die daheim nur Deutsch gelernt haben, unter Strafandrohung in den Kindergarten zur Frühförderung geholt wird? Wer würde sich bemühen, einen bildungsfernen und am Gastland desinteressierten Einwanderer aus seiner selbstgewählten Isolation zu holen? Soll er doch deppert sterben und möglichst bald mangels Einkommen wieder heimfahren.
Außenminister Kurz hätte gut daran getan, dies ein wenig stärker zu betonen. Auch wenn Alev Korun dann vielleicht nicht mehr seine Freundin gewesen wäre. – In Österreich leben übrigens derzeit rund 270.000 türkischstämmige Einwanderer; 115.000 sind österreichische Staatsbürger, 90.000 davon sind noch in der Türkei wahlberechtigt.