ORF-Watch.at Die unabhängige Kontrolle des Gebührenmonopols


Rubriken

Archiv

Simon Kräuter (Ideologie: Fr, 04.02.2022, 08:28)
Sideletter-Chefredakteure?

Seit mittlerweile sechs Tagen liegt nun auch schriftlich vor, was seit der Gründung des ORF im Jahr 1955 ein offenes Geheimnis ist, und was abzustreiten die perfekte Gelegenheit war und ist, sich grenzenlos lächerlich machen: Der ORF ist ein bis ins Mark parteipolitisierter Sender.

Die behauptete und in einem Pseudogesetz alibihalber vorgeschriebene „Unabhängigkeit“ hat zu keinem Zeitpunkt auch nur in Rudimenten existiert. Weit bis in die Redaktionen und damit mitten in die Gestaltung der Nachrichten sitzen mutmaßlich von den jeweils regierenden Parteien gewollte und gewünschte Personen, solche, denen man von politischer Seite anscheinend zutraut, die Gestaltung der Nachrichten gemäß den eigenen Wünschen ausfallen zu lassen.

So schreibt der Standard am 31. Jänner über den veröffentlichten Sideletter, in dem Fall jenen zwischen den damaligen Regierungsparteien türkis und blau (https://www.derstandard.at/story/2000132968077/orf-redakteursrat-fordert-ende-der-parteipolitischen-postenbesetzung):
• Für den Chefredakteur von ORF 1 war "G.W." vorgesehen. Wolfgang Geier wurde ebenfalls im Mai 2018 bestellt.
• Chefredakteur von ORF 2 sollte "S.M." werden. Matthias Schrom wurde es.
Nach Wikipedia definiert sich die Tätigkeit eines Chefredakteurs wie folgt: „Der Chefredakteur leitet die Redaktionsarbeit und setzt die publizistische Leitlinie im Sinne des Verlegers oder Herausgebers um. Er LEGT DIE POLITISCHE LEITLINIE der publizistischen Einheit gelegentlich mit FEST.“


Seit nunmehr sechs Tagen steht also der Verdacht im Raum, die beiden Chefredakteure des „unabhängigen, objektiven ORF“, wären politisch installiert. Jene Personen, die letztverantwortlich über die Nachrichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sind, uns also täglich über u.a. die Politik der österreichischen Parteien berichten, wurden dem Verdacht nach wiederum eben von einer oder zwei dieser Parteien (und davor wohl von anderen Parteien) in die Redaktion entsandt.

Eine katastrophale Optik, die sich nun mit Vorliegen der Sideletter extrem verdichtet. Als Journalist ist man in so einem Zustand nicht mehr handlungsfähig. Ab sofort kann jedem kritischen Bericht des ORF, der die österreichische Politik zum Gegenstand hat, entgegengehalten werden, daß er von einem mutmaßlichen Parteigünstling gestaltet wurde. Ähnlich dem Warnhinweis auf Zigarettenpackungen könnte z.B. vor jeder ZiB der Hinweis eingeblendet werden: „Die folgende Nachrichtensendung wurde von Personen gestaltet, auf deren Bestellung politische Parteien massiv hingewirkt haben.“ So jedenfalls die vom Standard transportierte Optik.

Wie reagiert nun der offizielle ORF auf die nun schriftlich vorliegende Widerlegung seiner Unabhängigkeit? Richtig: Überhaupt nicht. Ein „Redakteursrat“ nimmt sich des Themas an, und fordert per APA-Aussendung, daß die Politik die Hände vom ORF lassen soll. Mehr nicht. Gehören diesem Redakteursrat vielleicht sogar auch die mutmaßlichen – Unschuldsvermutung! - Parteigünstlinge Schrom und Geier an? Prangern damit sogar jene Personen die Zustände an, die selbst willfährig die ihnen von Parteien angetragenen Posten angenommen haben? Aber vor allem: Warum fällt in diesem Land niemandem, keinem öffentlich-rechtlichen oder aber auch einem unabhängigen Journalisten ein, den beiden, oder z.B. auch dem Generaldirektor Weißmann die Frage zu stellen, ob sie politisch installiert wurden? Ist es nicht bei der Aufklärung eines jeden Skandals journalistisch Geboten, zuerst und noch vor allen anderen die Hauptpersonen zur Stellungnahme zu bitten? Und selbst dann wäre die Aufforderung zu einer Stellungnahme nur deshalb notwendig, weil die genannten Herren es nicht ansatzweise für nötig halten, sich gegenüber der gebührenzahlenden Öffentlichkeit von sich aus zu Wort zu melden, und die journalistische und damit demokratiepolitische Bankrotterklärung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, vor allem aber die massiven Vorwürfe gegen die genannten Personen, zu kommentieren.

Die Frage, die sich wohl jedem Journalisten, der Reste von Berufsethos hat, aufdrängen würde, lautet: „Herr Schrom, sind Sie der von der ÖVP gewünschte Chefredakteur von ORF2? Herr Geier, wurden Sie durch eine politische Absprache Chefredakteur von ORF1?“ Aber im System Österreich können sich die Herren sicher sein, nicht mit solchen oder ähnlichen Fragen belästigt zu werden. Ein Rückgrat welcher Konsistenz bzw. welches Berufsethos muß man überhaupt haben, um selbst sechs Tage nach Aufkommen dieses Verdachts, der einen Journalisten jeglicher Glaubwürdigkeit beraubt, nicht von sich aus das Wort zu ergreifen?

Heute abend (4. Februar) um 19.05 steht in Ö1 das Medienmagazin „doublecheck“ auf dem Programm, das jeden ersten Freitag des Monats über die österreichische Medienlandschaft berichtet. Lästigerweise kann man aufgrund des Sendedatums die massiven Vorwürfe aus den Sidelettern gegen ORF-Personen nicht ignorieren. Angekündigt wird deshalb auf der Ö1-Website ein Beitrag über politische Postenbesetzung im ORF (https://oe1.orf.at/programm/20220204#668366/Watschen-fuer-den-Journalismus).

Ich wage hiermit folgende Prognose: Die Gestalter von doubleckeck, Nadja Hahn und Stefan Kappacher, werden sich darin rebellisch gegen jeden Einfluß der Politik auf den ORF verwehren, die Einflußnahme als ÖVP/FPÖ-Attacke darstellen und die Phasen rot-grüner Gleichschaltung totschweigen, man wird Empörung zur Schau stellen, die eigene Unabhängigkeit betonen, die Objektivität und die Lebensnotwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschwören, deutsche Privat- und österreichische Milliardärssender zutiefst verurteilen und in dem Beitrag ganz, ganz oft „Demokratie“ sagen.

Was in der Sendung „doublecheck“ NICHT passieren wird: Hahn und Kappacher werden NICHT ihre Kollegen Schrom und Geier um Stellungnahme bitten. Man wird ORF-Generaldirektor Roland Weißmann NICHT um seine Sicht der Vorwürfe befragen. So werden wir auch in „doubleckeck“ KEINE Stellungnahme der hauptbetroffenen Einzelpersonen und des offiziellen ORF zu hören kriegen. Um ca. 19.30 wird der Bericht zu Ende sein. Dann hat man das Thema im ORF irgendwie abgehandelt und man kann sagen, daß man eh darüber berichtet hat. Und dann wird das Thema auch generell erledigt sein. Im ORF und im Rest des Systems Österreich.