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Werner Reichel (Fakten: Fr, 20.05.2016, 10:25)
Erhellender Wahlkampfendspurt

Jeder Standpunkt ist hundertmal gesagt, jede Position aus jedem nur erdenklichen Blickwinkel beleuchtet und jeder Anwurf bis zum Erbrechen wiederholt worden. Man hat alles ausgereizt. Übermorgen ist es vorbei. Gott sei Dank. Der gefühlt 30 Wochen lange Lagerwahlkampf mit seinen  unzähligen Konfrontationen, Reportagen, runden Tischen, Analysen, Interviews, Wordraps,Englischtests, Frisuren raten und was sich die Journalisten sonst noch alles „Originelles“ einfallen haben lassen, hat von Tag zu Tag mehr genervt. Trotzdem hat es auch nach der unmoderierten Konfrontation auf ATV, wo sich Van der Bellen und Hofer auf Kindergartenniveau beflegelt hatten, noch aufschlussreiche Highlights gegeben. Etwa, als am Mittwoch Armin Wolf in der ZiB2 Alexander Van der Bellen interviewt und ihn entgegen der ORF-Linie nicht geschont hat. Die kritischen Fragen, das Nachfragen und Nachbohren haben Van der Bellen sichtlich irritiert und völlig überfordert. Es war ein regelrechter Kulturschock. Wolf hat ihn aus seiner gewohnten Komfortzone gerissen. Van der Bellen, das politische Liebkind der linkslastigen Medien, hat sich in seiner langen poltischen Karriere nie wirklich unbequemen Fragen stellen müssen. Er wurde stets mit Samthandschuhen angefasst, was bei Bürgerlichen oder Rechten zu Skandalen geführt  hätte, hat man Van der Bellen mit Augenzwinkern durchgehen lassen. Ist eben auch nur ein Mensch, der Sascha. So wurde etwa seine Tätigkeit oder besser Untätigkeit als Unibeauftragter im Wahlkampf viel zu wenig thematisiert. Die linken Journalisten wollten ihren Favoriten nicht anpatzen. Ein Glück für Van der Bellen, der beim ersten leichten medialen Gegenwind zu schwanken beginnt, sich an nichts mehr erinnern will und versucht, mit billigen Ausreden über die Runden zu kommen. Erhellend beim Wolf-Interview auch die Weigerung Van der Bellens, sich vom Aufruf der Schauspielerin Katharina Stemberger, beim Kampf gegen Hofer auch etwas kriminell zu werden, zu distanzieren. Erstens könne er sich an die Aussage gar nicht erinnern und zweitens habe sie es sicher nicht so gemeint, so Van der Bellen. Letztklassig.

Nach diesem für den ORF durchaus bemerkenswerten Interview kurz darauf ein journalistischer Tiefpunkt im Staatsfunk. Im letzten großen TV-Duell zwischen Van der Bellen und Hofer, drei Tage vor der richtungsweisenden Wahl, unterstellt der ORF Norbert Hofer, seine Erlebnisse in Israel, wo er Zeuge wurde, wie die Polizei eine Terroristin niedergeschossen hat, frei erfunden zu haben. Dieser Zwischenfall habe nie stattgefunden. Das ist für das größte Medienunternehmen des Landes bemerkenswert. Vor allem, weil jeder Bürger innerhalb von Sekunden im Internet Berichte seriöser israelischer Medien über diesen Zwischenfall findet. Google macht's möglich. Hält der ORF seine Zuseher tatsächlich für so bescheuert? Dabei hätte man das durchaus auch seriös thematisieren können. Hofer hat sein Erlebnis offenbar etwas ausgeschmückt. Aber ihn auf so plumpe Art in die Pfanne hauen zu wollen, ist nicht nur unredlich, sondern vor allem dumm und kontraproduktiv. Aber, um einen abgenutzten politischen Stehsatz anzubringen: Angst war noch nie ein guter Ratgeber.