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Werner Reichel (Monopol: Fr, 26.09.2014, 09:07)
90 Jahre Selbstüberschätzung

Ö1 feiert derzeit „90 Jahre Radio“. 90 Jahre? Wie kommt man auf dieses Jubiläum? Radiogeräte sind wesentlich älter. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts experimentierten Pioniere wie Alexander Popow, Guglielmo Marconi oder Nicola Tesla erfolgreich mit Rundfunksendern und Empfängern. Das kann Ö1 also nicht feiern. Vielleicht meint man die erste Radiostation bzw. den Beginn erster regelmäßiger Radiosendungen? Am 1.11.1920 startet KDKA in Pittsburgh/Pennsylvania seinen Sendebetrieb (das private Newsradio sendet übrigens heute noch). Auch nicht. Wahrscheinlich meint man Radio in Österreich. Fehlanzeige. Denn bereits am 1.4.1923 begann Radio Hekaphon in Wien zu senden.

Was Ö1 wirklich feiert, ist sich selbst. 90 Jahre Staatsfunk in Österreich! Am 1. Oktober 1924 ging die RAVAG, der Vorläufer des ORF, zum ersten Mal auf Sendung. Es sagt viel über das Selbstverständnis des ORF und der Ö1-Mitarbeiter aus, wenn man das österreichische Staatsradio mit dem Radio gleichsetzt.

Aber dieses Jubiläum wäre für den ORF eine gute Gelegenheit, die eigene Vergangenheit ehrlich und kritisch aufzuarbeiten. Denn vom derzeit von Ö1 groß gefeierten 1.10.1924 bis zum Jahr 1995 hatte der Staatsfunk aus machtpolitischen Überlegungen das Sendemonopol in Österreich. Wer dagegen verstieß, wurde verfolgt und bestraft, bis hinein in die 90er Jahre. Der Grund dafür, die Regierenden haben seinerzeit die RAVAG und später den ORF für ihre Interessen und ihren Machterhalt ge- und missbraucht.  Die meisten ORF-Mitarbeiter hatten und haben, dank großzügiger Gagen, keine Probleme damit. Im Gegenteil. 90 Jahre staatlicher Rundfunk in Österreich. Es gäbe viel aufzuarbeiten, aber bei Ö1 bewältigt man lieber die Vergangenheit der anderen.