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Werner Reichel
 

Besuch bei einer betagten Bekannten in Niederösterreich. Die Dame ist weit über 80 und politisch nicht besonders interessiert. Sie hat ein für diese Alters- und Zielgruppe durchaus typisches Mediennutzungsverhalten. Das Kurier-Abo hat sie vor einiger Zeit gekündigt, nicht aus politischen, sondern aus Kostengründen. Das Internet nutzt sie gar nicht, die einzige Zeitung, die sie regelmäßig liest, sind die Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN). Hier erfährt sie, was in ihrer direkten Umgebung los ist. Ansonsten informiert sie sich ausschließlich über den ORF, konkret über die ZiB1 und Radio NÖ.

Bei meinem Besuch erzählte sie mir, dass sie nicht mehr wisse, welche Partei sie wählen solle. Bisher machte sie ihr Kreuz meistens, wie das in ländlichen Gegenden in Niederösterreich verbreitet ist, bei der ÖVP. Doch die vielen sogenannten Skandale, über die der ORF in den letzten Wochen und Monaten berichtet hatte, haben sie offenbar verunsichert.

Was sie vom Korruptionsskandal der Grünen halte, will ich wissen. „Was für ein Skandal?“, bekomme ich zur Antwort. Sie hat von der unappetitlichen Causa Chorherr noch nie etwas gehört. Von einem Skandal, bei dem es um Korruption, Bestechung, Bestechlichkeit und Amtsmissbrauch, bei dem es um Millionenbeträge geht, bei der ein dubioser Afrika-Verein möglicherweise nur die gutmenschliche Fassade ist, um finanzielle Machenschaften zu verdecken.

So wie meiner Bekannten geht es vielen Österreichern. Sie gehen kommenden Sonntag zur Wahl und haben noch nie etwas von der Affäre der selbsternannten Anstandspartei gehört. Dafür wurde ihnen das Schreddern von Festplatten als Skandal verkauft und die FPÖ wird ihnen ohnehin seit langem fast ausschließlich als korrupte, unfähige, rechtsrechte Fascho-Partei präsentiert. Dabei wiegen die Vorwürfe, die gegen Chorherr im Raum stehen, weit schwerer, als alles, was H.C. Strache in Ibiza von sich gegeben hat. Trotzdem hat der Ibiza-Skandal aufgrund seiner hysterischen medialen Aufbereitung und Inszenierung des illegalen Videomaterials nicht nur die Regierung gestürzt, sondern rund um den Globus Wellen geschlagen, während der Chorherr-Skandal dem ORF nicht einmal eine Spitzenmeldung in einer Hauptnachrichtensendung wert ist.

Meine Bekannte und viele andere Österreicher treffen ihre Wahlentscheidung auf Basis dieser öffentlich-rechtlichen Informationspolitik, auf Basis einer einseitigen und lückenhaften ORF-Berichterstattung. Wer keine anderen Informationsquellen nutzt, weil er dem ORF vertraut, ist in dieser linken Scheinwelt, die an die Höhle in Platons berühmten Gleichnis erinnert, gefangen.

Selbstverständlich berichtet der ORF über die Causa Chorherr. Allerdings selten, verharmlosend, wohlwollend, vom Wesentlichen ablenkend und möglichst verwirrend. Mit Erfolg. Wie meine Bekannte mir eindrücklich vor Augen geführt hat.

Diese nicht einmal halbherzige Alibi-Berichterstattung geht in den permanenten Skandalisierungs- und Hetzkampagnen gegen FPÖ und ÖVP völlig unter. Beim ORF sind die Grünen noch immer die Partei der Anständigen und der Moral, ganz egal, welche Schweinereien sie anstellen, während die FPÖ ausschließlich als Gefahr für das Land und die Demokratie dargestellt wird, auch wenn die türkisblaue Regierung eine der erfolgreichsten seit langem war. Differenzierter geht es nicht.

Der ORF verzerrt die Realität nicht, er schafft eine eigene, in der linke Parteien stets auf der Seite des Guten stehen und ÖVP und FPÖ als Projektionsfläche für den Hass, die Ängste und Aggressionen einer zunehmend verunsicherten Linken herhalten müssen.

Haben ORF-Konsumenten wie meine Bekannte kein Korrektiv, keine anderen Bezugspunkte zur außermedialen Realität, weil sie fälschlicherweise annehmen, der ORF sei eine vertrauenswürdige und objektive Informationsquelle, sind sie den Praktiken dieser Anstalt weitgehend hilflos ausgeliefert. Wir reden hier nicht von Einzelfällen. In unserer Gesellschaft sind diese Gruppen wahlentscheidend. In Österreich leben rund 1,3 Millionen über 70-Jährige. Viele von ihnen vertrauen aus alter Gewohnheit dem ORF, nutzen ihn als primäre oder gar einzige mediale Informationsquelle.

Wäre der ORF ein privater Sender, der in Konkurrenz zu andern steht, sich über den Werbemarkt finanzieren muss und auf einen einstelligen Marktanteil kommt, wäre das kein Problem. Doch der ORF missbraucht seine Sonderstellung als öffentlich-rechtlicher Sender, sein Milliardenbudget und die daraus resultierende marktbeherrschende Stellung, um die Politik, die öffentliche Meinung und die Wahlen in seinem Sinne zu beeinflussen. Das ist demokratiepolitisch hochgradig gefährlich.

Ohne ORF würde die politischen Landschaft in Österreich völlig anders aussehen, wären die politischen Kräfteverhältnisse andere. Würde der ORF so agieren und berichten, wie es der öffentlich-rechtliche Auftrag vorschreibt, würde er die linken Parteien und Gruppierungen so behandeln wie die rechten – oder umgekehrt –, hätte sich Österreich in eine völlig andere Richtung entwickelt. Das Traurige daran, jene Kräfte, die der ORF seit Jahren, seit Jahrzehnten bekämpft, haben das bis heute in seiner gesamten Tragweite nicht begriffen. Sie können offenbar nicht abschätzen, welchen enormen Schaden und Nachteile sie durch den parteiischen ORF erleiden.

Man lässt sich Tag für Tag medial abwatschten, demütigen und vorführen, sieht zu, wie Grüne und Rote gepusht und hofiert werden. Die einzige erkennbare medienpolitische Reaktion der türkisblauen Regierung war, auf Kuschelkurs mit dem ORF zu gehen. Medienminister Gernot Blümel war eine Nullnummer, ist einer der Hauptverantwortlichen für das frühzeitige Scheitern dieser Koalition. Auch Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler H.C. Strache versuchten es mit dieser Einschleim-Strategie. Mit welchem Erfolg, wissen wir. Man hatte offenbar Angst, sich mit dem ORF anzulegen, was wiederum zeigt, welche Macht, Dominanz und welchen Einfluss diese milliardenschwere Meinungsanstalt hat.

Diese Untätigkeit, diese Feigheit waren nicht nur dumm und jämmerlich, sondern auch politisch unverantwortlich. Wem Demokratie und eine pluralistische Medienlandschaft tatsächlich Anliegen sind, der kann und muss den ORF entweder abdrehen oder völlig neu aufstellen. Es ist aber zu befürchten, dass das ÖVP und FPÖ selbst nach diesem ORF-Schmutzkübelwahlkampf noch immer nicht verstanden haben.