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Werner Reichel
 

Die goldenen Zeiten sind lange vorbei. 36,8 Prozent Marktanteil erreichte die Auftaktaktsendung der großen RTL-Samstagabend-Show bei den 14- bis 49-jährigen Deutschen noch vor acht Jahren. Jeder dritte Deutsche, der am damaligen Samstag vor dem Fernseher saß, schaute „Das Supertalent“. 2018 lag der Marktanteil nur noch bei 22 Prozent. Dass RTL und die Branchenmagazine diesen Wert dennoch bejubelten, zeigt, wie sehr sich der Fernsehmarkt in den vergangenen Jahren verändert hat.

Ich kenne diese Show, weil ich sie mir mit meinen Kindern hin und wieder angesehen habe. Vergangenen Samstag bin ich – nach mehrjähriger Pause – beim Durchzappen hängen geblieben. Oberflächlich betrachtet ist alles wie früher: Dieter Bohlen, der gefühlige Bruce und eine weibliche Schönheit kommentieren launig die Darbietungen auf der Bühne. Es ist ein bunter Abend mit Sängern, Tänzern, Artisten, Illusionisten und Freaks. Wie immer. Einiges hat sich in den vergangenen Jahren aber verändert.

2010 war in der Medien- und Marketingbranche gerade das „Storytelling“ angesagt. Die sogenannten Kreativen drehten den Menschen jede lahme Programmidee, jeden Haushaltsartikel, jedes Produkt und jede Promotion mit einer Geschichte an, um so emotionalen Mehrwert zu generieren.

Beim Supertalent trällerte also nicht einfach nur ein mittelmäßig begabter Teenager auf der Bühne einen Chart-Hit nach, um den Auftritt wurde eine rührselige Geschichte herum konstruiert. Der junge Mann hatte also verschiedenste Schicksalsschläge überstanden, seine Mutter oder sein rechtes Bein verloren, ist vor einigen Wochen aus dem Koma erwacht oder gerade auf Heroin-Entzug. In der Art. So konnten die Showproduzenten dem Publikum einen langweiligen Karaokeauftritt, aufgepeppt mit Gefühl und Pathos, als großes emotionales Event, als tolles Ereignis verkaufen. Jetzt kommt wieder so ein „Schicksal“ scherzte damals meine Tochter, die diesen Mechanismus schnell durchschaut hatte.

Ein weiterer Fixpunkt dieser Show waren die Freaks, die Derangierten, die Sozialfälle, die sich - aus welchen Gründen auch immer - vor einem Millionenpublikum zum Affen machten. Sie stellten sich, von den Maskenbildnern verunstaltet und peinlich eingekleidet, auf die Bühne und sangen oder tanzten schlecht. Zum Gaudium des Publikums. Dazwischen traten eingekaufte Profi-Entertainer auf. Meist in der immergleichen Abfolge: Profi, Freak, Talent, Schicksal, Profi etc. Das war einmal.

Auf das Storytelling verzichtet man inzwischen fast völlig und auch die Adipösen mit Jogginghose und zehn Dioptrien, die sich auf der Bühne - zur Überraschung des Publikums - als großes Gesangstalent herausstellen, fehlen. Kein Storytelling mehr und auch die Freaks kommen nur noch selten zum Einsatz. Man ist nicht mehr ganz so ungustiös. Stattdessen treten überwiegend professionelle Artisten, Clowns, Zauberer und andere Entertainer auf.

Es sind Künstler, die von Talent-Show zu Talent-Show tingeln. Schließlich ist das Supertalent der deutsche Ableger des internationalen Castingshow-Formats „Got Talent“. Was in der Ukraine oder Großbritannien gut angekommen ist, sieht man im nächsten Jahr in Deutschland und umgekehrt. Ein globaler Fernseh-Zirkus.

Vom einst so geliebten Storytelling hat man sich vermutlich verabschiedet, weil die TV-Konsumenten von der immer gleichen billigen Masche, den immer gleichen Tränendrüsengeschichten die Nase voll haben. Diese fürs Trash-TV typischen Inszenierungen passen nicht mehr ins YouTube-Zeitalter.

Weshalb man all die mittelmäßigen Sänger und Tänzer gleich ganz gekübelt hat. Ohne eine rührselige Geschichte ist mittelmäßiger Karaokegesang eben nur mittelmäßiger Karaokegesang, und damit für eine große TV-Show ungeeignet.

Vor allem aber haben die Zuseher genug davon, dass man aus quotentechnischen Gründen Verwirrte, Sozialfälle oder sonst wie Beeinträchtigte einem Millionenpublikum zum Fraß vorwirft. All das scheint nicht mehr zu funktionieren, sonst würde man es noch senden. Neue Ideen hat man aber keine. Man macht deshalb solange weiter, solange man mit einem solchen Format noch genügend Zuseher vor die Bildschirme locken kann, um die Werbeflächen gewinnbringend vermarkten zu können. Lange wird das nicht mehr funktionieren.

Am Niedergang des Supertalents kann man auch den langsamen Tod, das Dahinsiechen des linearen Free-TV erkennen. Neues, Innovatives, Überraschendes findet längst woanders statt, etwa im On-Demand-Bereich. Im Privat-TV tummeln sich nur noch Fernsehköche, Asoziale, C-Promis, Ungustln und Freaks, im öffentlich-rechtlichen wird das Publikum Tag für Tag politisch indoktriniert und erzogen.

Beide Angebote sind für halbwegs intelligente Menschen nicht sonderlich attraktiv, ihr Ende deshalb absehbar. Die TV-Mitarbeiter verwalten ihren Untergang, sie melken die Kuh, solange sie noch Milch gibt.