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Kurt Ceipek
 

Von Zeit zu Zeit versucht sich Ö1 im Enthüllungsjournalismus. Für einen Sender, dessen Journalredaktionen sich üblicherweise weitgehend darauf beschränken, bürgerlichen Poltikern bei jeder Gelegenheit ans Bein zu pinkeln, Rot und Grün zu hofieren, um ihnen Wähler zuzutreiben, und Donald Trump als Vollidioten darzustellen, wird so ein künstlicher Enthüllungsjournalismusversuch leicht zum Bumerang, der den Sender dumm aussehen lässt.

Die ausführliche und sensationsheischende Spitzenmeldung im Morgenjournal ließ schlaftrunkene Zuschauer entweder wieder einschlafen und an einen schlechten Traum zu glauben, oder sich ungläubig die Augen reiben. Da enthüllte ein ORF-Redakteur namens Bernt Koschuh eine Geschichte aus dem Jahr 1974 – also vor 44 Jahren –, in der das größte Ski-Idol aller Zeiten damals im polnischen Skiort Zakopane versucht habe, eine 28-jährige Polin zu vergewaltigen. 

Älteren Semestern mit ausgeprägtem Langzeitgedächtnis dämmerte auch im Halbschlaf, diese Geschichte vielleicht schon einmal gehört zu haben. Sie war damals in Medien aufgetaucht, aber bald wieder verschwunden. Die betroffene Polin – Zeugen zufolge eine Prostituierte, die mittlerweile ebenso wie der Skistar nicht mehr am Leben ist, – hatte damals auf eine Anzeige wegen Körperverletzung verzichtet. Ohne Anklage kein Prozess, kein Schuldspruch, ohne Gerichtsverhandlung aber auch kein Freispruch.

Was enthüllte der ORF nun an Sensationellem? Es sei jetzt nach knapp viereinhalb Jahrzehnten ein Justizakt aufgetaucht, aus dem sich entnehmen lässt, dass das Außenministerium (unter dem damaligen Bundesminister Rudolf Kirchschläger) in Polen für Toni Sailer – er war zu dieser Zeit Direktor des Österreichischen Skiverbandes – interveniert habe. Mitarbeiter der Österreichischen Botschaft in Polen hätten nicht nur bei der Staatsanwaltschaft, sondern auch politisch für Sailer interveniert. Überdies sei eine Kaution für den Ski-Helden in Höhe von umgerechnet 7.267 Euro und 28 Cent hinterlegt worden.

So weit so harmlos.

Und wo wird seitens des ORF der Skandal gewittert? Dass sich eine österreichische Botschaft im Ausland für einen ihrer Staatsbürger einsetzt, egal ob es sich um einen Prominenten oder einen sogenannten Normalbürger handelt, ist wohl selbstverständlich. Selbst für Rauschgift-Dealer, die im Ausland unter Verdacht geraten, setzen sich Österreichs Botschaftsmitarbeiter energisch ein. Dass man sich für einen Staatshelden, wie Toni Sailer es damals zweifellos noch immer war, besonders ins Zeug legt, hätte vermutlich jeder Österreicher erwartet. Es wäre ein echter Skandal gewesen, hier irgend etwas unversucht zu lassen.

Doch der ORF macht das Engagement der Botschaft und der Poltiker (auch Bruno Kreisky soll interveniert haben) fast 45 Jahre später zum Skandal. Eine seltsame Sicht der Dinge.

Zugleich wird der noch nach Jahrzehnten als besonders untadelig verehrte Sailer angepatzt. Es stimme „nicht ganz“, dass Toni Sailer damals rehabilitiert und freigesprochen worden sei, ätzte die Morgenjournal-Moderatorin. Im Mittagsjournal wurde ausführlich ein Sport-Historiker zu dem Fall interviewt, der trocken festhielt, es gebe keine klaren Fakten zu dem Fall. Aber in der ZiB um 13:00 titelte der ORF: „Vergewaltigungsverdacht gegen Toni Sailer“,

Immer wieder bohrte ORF-Enthüllungskünstler Bernt Koschuh auf der Tatsache herum, dass Sailer nicht freigesprochen worden sei. Ein Freispruch wäre allerdings gar nicht möglich gewesen, weil Sailer gar nicht angeklagt worden war. Es hatte sich bei der Affäre offenbar um eine sogenannte „b’soffene G’schicht“ gehandelt, bei der die Polin die Gunst der Stunde der Begegnung mit dem wohlhabenden einstigen Weltstar nützen und einiges an Geld lukrieren wollte, verrieten zwei noch lebende Zeugen, jugoslawische Mitarbeiter einer Skischuhfirma, die Sailer bescheinigten, unschuldig gewesen zu sein.

Bleibt die Frage, wer diesen Akt nach 44 Jahren ausgegraben, ihn an Medien weitergereicht hat und mit welchem Ziel, denn zufällig passiert so etwas üblicherweise nicht. Wollte der ORF sich damit wichtig machen und international berühmt werden? Oder geht es darum, die „MeToo-Debatte“ am Köcheln zu halten. Auch eine Menge anderer Motive, die der Autor dieses Textes nicht durchschaut, könnte es geben. Das klingt alles undurchsichtig und verdächtig. Aber auch für den ORF gilt die Unschuldsvermutung.