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Werner Reichel
 

Die unabhängigen Zeitungen starteten im Oktober 1964, also vor genau 50 Jahren, ein Volksbegehren gegen den Einfluss der Politik auf den ORF. Über 830.000 Österreicher unterschreiben und  setzen damit ein unmissverständliches Zeichen. Der ORF wurde danach unter der ÖVP-Alleinregierung  von Bundeskanzler Josef Klaus grundlegend reformiert. Er bekam einen klaren Programmauftrag und einen neuen unabhängigeren Generaldirektor. Der Würgegriff von SPÖ und ÖVP wurde damals zumindest etwas gelockert.

Eine fünfteilige Serie zum Jubiläum des Rundfunkvolksbegehrens

Teil 4: Katerstimmung bei der SPÖ

Das Ergebnis des Volksbegehrens ist überwältigend und übertrifft alle Erwartungen. Das ist bereits am 13. Oktober klar, noch bevor das offizielle Ergebnis vorliegt. Die Sozialisten schäumen. In der Arbeiterzeitung kotzt sich Chefredakteur Franz Kreuzer so richtig aus:

„Die Erleichterung die aus dem Triumphgeschrei der Kommerzpresse spricht (…) ist verständlich: Man hat in der letzen Woche an dem sich geradezu überschlagenden Propagandawirbel und an der rücksichtslosen Aufopferung des redaktionellen Teiles der engagierten Blätter erkennen können wie groß die Angst vor einem Debakel war.  Das ändert freilich nichts an den Proportionen: Es gibt in Österreich zurzeit an die fünf Millionen Wahlberechtigte. Ein Zehntel oder Achtel von ihnen hat sich für die Vorlage, die Gegenstand des Volksbegehrens war, ausgesprochen (…) Eine ähnliche oder größere Zahl von Österreichern könnte man für unzählige politische Parolen in Bewegung setzen: Für Rentenerhöhung etwa, für höhere Dotierung des grünen Plans, für Verstärkung des Wohnungsbaues, für Steuersenkung und so fort. (…) Für ein besseres Rundfunkprogramm kann jeder eintreten so wie für besseres Wetter.  (…) Es ist also klar, was dieses Volksbegehren nicht war. Eine politische Manifestation von bestimmendem Gewicht (…) Der Vergrößerungsspiegel, in dem sich die Wortführer des ‚parteifreien‘ Journalismus gerne betrachtet haben, liegt in Scherben – von ihnen selber mit großem Geldaufwand zerschlagen."

Kreuzers Pamphlet macht deutlich, wie die SPÖ auf den sich abzeichnenden Erfolg des Volksbegehrens reagierte: kleinreden, den Unterzeichnern Ahnungslosigkeit respektive Verblendung und den Initiatoren unredliche Absichten unterstellen. Zudem wird versucht, durch verschiedene Verzögerungstaktiken die Anliegen der Bevölkerung im Sand verlaufen zu lassen. Und Kreuzer zeigt in seinem Leitartikel, dass das Eintreten der Sozialisten für einen parteifreien Rundfunk nie mehr war, als ein Lippenbekenntnis. Man sei für einen unabhängigen Rundfunk, aber … wurde über die Jahrzehnte zum Mantra sozialistischer Medienpolitik.

Eine Variante dieses SPÖ-Mantras liefert Heinz Fischer. Der spätere Bundespräsident schwurbelt in der sozialistischen Zeitschrift Zukunft:

„Die Forderung der österreichischen Bevölkerung nach einem besseren Rundfunk ist eine echte und berechtigte. Der Gesetzgeber hat daher die Aufgabe, diesem Anliegen nachzukommen und ein gutes Rundfunkrecht zu schaffen; gerade deshalb könne es nicht verantwortet werden, den verfassungswidrigen, unbrauchbaren Gesetzestext, der dem Volksbegehren zugrunde liegt, zu beschließen.“

Am 16. Oktober wird das vorläufige Ergebnis bekanntgegeben: 833.389 Österreicher haben das  Rundfunkvolksbegehren unterschrieben. Während die unabhängigen Zeitungen das Ergebnis bejubeln, schmollt und schweigt die Arbeiterzeitung. Die Neue Zürcher Zeitung stellt trocken fest: Die Sozialisten seien mit ihren „sauren Kommentaren erstaunlich schlechte Verlierer“

Dass die SPÖ mit dem Ergebnis nicht gerade glücklich ist, ist verständlich, immerhin hatten 18% der wahlberechtigten Österreicher - trotz aller bürokratischer Hürden, sozialistischer Störaktionen und Gegenpropaganda - das Volksbegehren unterzeichnet. Während die SPÖ ihre Wunden leckt, reagiert die ÖVP schnell. Generalsekretär Dr. Hermann Withalm in einer Aussendung des ÖVP-Pressedienstes:

„Für die Österreichische Volkspartei ist es keine Frage, daß sich nun die im Parlament vertretenen politischen Parteien mit dem so unmissverständlich bekundeten Willen eines beachtlichen Teils unserer Bevölkerung auseinandersetzen müssen.“

Auch die FPÖ begrüßt das Ergebnis des Volksbegehrens, während die KPÖ, so wie die SPÖ, versucht, das Ergebnis zu bagatellisieren. Am 18. November fasste das Parlament den Beschluss, einen Ausschuss einzuberufen, der sich mit dem Gesetzesentwurf des Volksbegehrens auseinandersetzen sollte. Schon damals zeichnete sich ab, dass die Politiker keine besondere Eile mit der Behandlung des Themas hatten. Vor allem die SPÖ demonstriert immer wieder ihre Abneigung gegen die Entpolitisierung  des Rundfunks.

Im Zuge der Diskussionen verlangen die Sozialisten sogar die Verwirklichung des Arbeitsübereinkommens aus dem Jahr 1963, das dem Geist des Volksbegehrens diametral entgegensteht, es sieht nämlich die proporzmäßige Besetzung aller wichtigen Posten im Rundfunk vor. Der Vorschlag wird  von der ÖVP abgelehnt.

Am 15. Juli wird das Volksbegehren im Nationalrat behandelt. Aber selbst das wollte die SPÖ verhindern, sie beantragte den geplanten Bericht des Ausschusses von der Tagesordnung streichen zu lassen. ÖVP, FPÖ und der mittlerweile aus der SPÖ ausgeschlossene Franz Olah stimmten dagegen. In dieser Sitzung demonstriert die SPÖ einmal mehr eindrucksvoll ihre zynische Haltung gegenüber der Willensbekundung von über 800.000 Österreichern. SPÖ-Abgeordneter Otto Winter, der Vorsitzende des Volksbegehrensausschusses in Richtung der Initiatoren des Volksbegehrens: „Wir Sozialisten haben nicht die Absicht, uns zu Stiefelputzern einer gewissen präpotenten Journaille degradieren zu lassen.“

Die Strategie war klar, vor allem die SPÖ wollte das Volksbegehren in einer Schublade verschwinden lassen, um so ihren Machtverlust im Rundfunk zu verhindern. Im Gegensatz zur ÖVP. Obwohl es auch hier Funktionäre auf allen Ebenen gab, die eine Entpolitisierung des Rundfunks – vor allem aus persönlichen und monetären Interessen – ablehnten, war die Grundstimmung und Grundströmung gegenüber einer echten Rundfunkreform grundsätzlich positiv. Diese Haltung kommt unter anderem in einer Rede des ÖVP-Nationalratsabgeordneten Adolf Harwalik im Parlament zum Ausdruck: „Das Volksbegehren stellt eine Art Radikalkur der Proporz-Demokratie dar. Das Volksbegehren mag vielen Staatsbürgern als eine einfache Sache erscheinen. In Wahrheit ist es ein haarscharfes Operationsmesser, das sich schmerzend in den Leib der Koalition senkt.“

Dieser Text ist ein gekürzter und überarbeiteter Auszug aus dem Buch: Die roten Meinungsmacher - SPÖ-Rundfunkpolitik von 1945 bis heute (Baden-Baden, 2012)