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Elisabeth Hennefeld
 

Ich bin ein leidenschaftlicher Konsument von TV-Dokumentationen. Doch zu meinem regelmäßigen Ärger haben die fast immer einen unterschwelligen Tenor, damit der Zuseher die durchaus akkuraten Fakten auch ja gleich ideologisch richtig deuten kann. Verständlich, schließlich kann man sich zusammenfassende Interpretationen viel leichter merken als nackte Zahlen und Fakten.

Ein Beispiel sei eine Dokumentation ausgestrahlt am 28.6. auf dem deutschen Kanal „einsfestival“: Essen verändert die Welt (ORF III sendet regelmäßig ähnliche Formate). Im Prinzip ein wirklich sehenswerter und lehrreicher Dreiteiler kreuz und quer durch die Jahrhunderte wie Essgewohnheiten den Lauf der Geschichte verändert haben und umgekehrt (vollständig auf youtube zu finden); wären da nur nicht diese ständigen ideologisch motivierten Interpretationshilfen.

Ein ewiger Klassiker, die Europäer erschließen Seerouten nach Fern Ost und, Zitat, „vertrieben mit brutaler Gewalt die arabischen Händler aus Indien“ und „so entstanden Systeme sozialer Ungleichheit, das Kolonialsystem und Sklavenhandel“. Die Botschaft ist klar, die Welt ist lieb und friedlich und dann kommen die bösen Europäer gierig und beuten die armen Eingeborenen barbarisch aus. Also was die brutale Gewalt betrifft, das Kapern von Handelsschiffen war unter allen seefahrenden Nationen ein allseits beliebter Sport, bei dem die Europäer schlicht besser bewaffnet waren. Kolonien und Sklaverei haben sie übrigens auch nicht erfunden; die westliche Zivilisation war nur die erste, die deswegen ernsthaft ein schlechtes Gewissen hatte. Moderne Werturteile über die Welt vor 500 Jahren zu fällen bringt wenig, um längst vergangene Zeiten zu verstehen.

Aber auch unsere Zeit muss natürlich in einem kapitalismus- und globalisierungskritischen Licht hinterfragt werden. Der moderne Speiseplan ist reichhaltiger und billiger als zu jeder anderen Zeit seit Menschen gedenken. Obst, Gemüse, Fleisch sind praktisch überall auf der Welt rund ums Jahr erhältlich, große Hungerkatastrophen und epidemische Krankheiten durch Mangelernährung praktisch vom Aussterben bedroht. Eigentlich eine schöne Geschichte. Und wenn man den Neoliberalismus schon nicht mag, muss man auch nicht dazusagen, dass sie was mit globalen Märkten, industrialisierter Lebensmittelproduktion und technischen Innovationen wie dem Kühlschrank zu tun hat.

Aber irgendeinen Hacken müssen wir trotzdem finden.

Durch den Überfluss essen wir mehr als gut für uns ist. Ein Schelm, wer auf die Idee kommt, dass jeder einzelne mehr oder weniger erwachsene Mensch selber dafür verantwortlich sein könnte, was er isst. Ganz abgesehen davon hat sich unser Kalorienbedarf in den letzten 200 Jahren fast halbiert seit wir uns unser Mittagessen nicht mehr händisch erschwitzen müssen.

Wir sind entfremdet vom Ursprung unserer Lebensmittel seit wir die Milch für unseren Kaffee nicht mehr selber von der Kuh zapfen sondern sie aus einem bunten Plastikpackerl aus dem Supermarkt beziehen. Schon mal eine Kuh gemolken? Also was mich betrifft, ich würde auch diese Entwicklung als Fortschritt verbuchen; vor allem weil ich Laktose nicht vertrage und ich sonst bis zur Erfindung der laktosefreien Kuh meinen Kaffee schwarz trinken müsste. Für alle, die es nicht wissen: Milch kommt von der Kuh, und die ist natürlicherweise nicht lila. Kann man sicher googlen. Unsere Lebenserwartung ist in den letzten Jahrzehnten um gut 15 Jahre gestiegen; so viel ungesünder können wir eigentlich nicht leben.

Und dann wäre da noch diese böse Kühltechnik, wegen der wir den natürlichen Bezug zum Lauf der Jahreszeiten verlieren, weil wir auch im Dezember Kirschen essen können. Wie schrecklich! Wir müssen im Winter nicht mehr nur Sterz mampfen sondern können auch in landwirtschaftlich wenig ertragreichen Monaten Früchte essen, Vitamine zu uns nehmen und nicht an Grippe sterben.

Natürlich kann man bei diesen Anmerkungen auch eine gewisse weltanschauliche Voreingenommenheit reklamieren. Solche Themen sind unendlich komplex und sicher schwierig, lupenrein neutral zu beleuchten. Was mich so stört ist, dass es kaum Dokus mit anderen ungenannten Prämissen und Interpretationsmustern gibt. Lustigerweise wird auch die Übersetzung bei Dokumentionen aus dem anglo-amerikanischen Raum just bei diesen wertenden Passagen oft sehr originell; um nicht zu sagen, der Sinn wird komplett verdreht wiedergegeben. (Für einen anderen Sprachraum kann ich das leider nicht beurteilen.)

Schade eigentlich, dass mir das deutschsprachige Fernsehen die Chance vorenthält, mich über eine unverhohlen einseitige pro-kapitalistische Dokumentation aufzuregen. Da werde ich wohl wirtschaftsliberal bleiben müssen.