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Werner Reichel
 

Waren das noch Zeiten! Als Privat-Rundfunk verboten, das Internet noch nicht erfunden, und soziale Netzwerke und Smartphones noch nicht einmal Science Fiction waren. Damals war der ORF uneingeschränkter heimischer Medienkaiser. Mit der ZiB1 versorgte er zwei Drittel der Österreicher mit seiner Sicht der Dinge. Ja, da war die Welt noch in Ordnung. Zumindest für den ORF und seine Mitarbeiter. Jeder, der damals sein Gesicht in eine ORF-Kamera halten durfte, selbst wenn er nur eine Kindersendung am Vormittag moderierte, war ein nationaler Star. Das ist lange vorbei.

Mittlerweile geben es auch die einstmals so stolzen und selbstbewussten ORF-Mitarbeiter etwas billiger. Ein schönes Beispiel dafür waren ihre Beiträge in der „Presse am Sonntag“. Die Zeiten der großen Töne sind offenbar vorbei. Angesagt sind vielmehr Jammern und ein bisschen Einschleimen. Auf die Größe, sprich Quote, kommt es eben doch an. Mit den Marktanteilen sinkt auch die Bedeutung und das Selbstbewusstsein. Von der "größten Medienorgel des Landes" traut sich heute im ORF niemand mehr zu sprechen.

Da appelliert etwa ORF-Chef Alexander Wrabetz an die Zeitungen, gemeinsam in die Schlacht gegen die neuen Feinde der alten Medien zu ziehen: Amazon, Google und Facebook. Denn, so warnt Wrabetz, „das Google-Suchfeld ist nicht das offene Fenster zur Onlinewelt“. Es ist zwar bequem, aber „auch höchst problematisch, weil damit Informationen vorenthalten werden und Auswahlkriterien der Suchalgorithmen nicht transparent sind“.

Ja, da kann man schon wehmütig werden, als der ORF noch selbst der Gatekeeper für einen Großteil der Informationen war und die Nachrichtenflüsse gesteuert hat. Genau diese Funktion hat den Staatsfunk über Jahrzehnte für die Regierenden so unentbehrlich gemacht und ihm seine besondere Position gesichert. Jetzt warnt der TV-Kutscher vor den Automobilen. Da schwingt ehrliche Sorge und echte Angst mit. Der langsame Gang in die Bedeutungslosigkeit ist kein einfacher.

Da nutzt es auch nichts, wenn ORF-Chefredakteur Fritz Dittlbacher in seinem Beitrag darauf hinweist, dass immer noch 1,1 Millionen Menschen die ZiB1 sehen. Dabei vergisst er großzügig, dass der Großteil seiner Seher deutlich älter als er selber selbst ist und bereits die wohl verdiente Pension genießt. Junge Menschen schalten das ORF-Informationsflaggschiff kaum noch ein. Rosige Zukunftsaussichten sind das nicht gerade. Deshalb sucht Herr Dittlbacher, so wie auch sein Chef, nach Verbündeten und Verständnis: „Politiker sein heißt heute oft: alles müssen und nichts dürfen.“ Wir haben‘s beide nicht leicht, so seine Botschaft.

Dittlbacher beklagt, dass die heimischen Bürger die Politiker immer weniger ernst nehmen. Beide, die Politik und der ORF, leiden unter einem massiven Vertrauensverlust. Als der ORF im Rundfunk noch das Monopol der Politikvermittlung inne hatte, war das noch anders. Das schreibt er zwar nicht, meint es aber. Nur die Zusammenhänge scheint Dittlbacher nicht ganz zu verstehen.

Damals gab es noch „Gesinnungsjournalismus“, diagnostiziert er. Und weiter: „Jetzt ist Journalismus ein Zeitgeist- und kein Gesinnungsberuf mehr. Junge Journalisten kommen von der Fachhochschule und nicht mehr aus Vorfeldorganisationen.“

Das mag stimmen. Aber früher gab es zumindest verschiedene Gesinnungen, jetzt gibt es nur mehr einen Zeitgeist, den politisch korrekten. Es zieht sich wie ein alter Kaugummi durch die Zeitungsartikel der führenden ORF-Mitarbeiter: Man trauert der guten alten Zeit nach und verdammt die „neuen“ Entwicklungen. Ö1-Journalist Stefan Kappacher bastelt gar an Verschwörungstheorien. „Hinter den Kulissen laufen die Fäden zwischen Privatsendern und Zeitungen ohnehin zusammen.“ Die unheimlichen Verschwörer wollen gemeinsam den ORF in die Zange nehmen. Denn, „im Zweifel geht es immer gegen den ORF“.

Mit Konkurrenz, Marktwirtschaft, Kapitalismus und Freiheit tun sich Ö1-Journalisten ja besonders schwer. Allerdings sollten die ORF-Mitarbeiter etwas weniger wehleidig sein. Schließlich war es der ORF, der gemeinsam mit der SPÖ über Jahrzehnte Privatrundfunk verhindert hat. Was für viele Journalisten damals einem Berufsverbot gleichgekommen ist. Zimperlich war der ORF damals nicht. Da sollte man jetzt nicht beim kleinsten Gegenwind zu Jammern beginnen.

Den mutigen Kämpfer für Unabhängigkeit gibt einmal mehr Dieter Bornemann. Er konstatiert, dass „die (ORF)Redaktion selbstbewusster und widerständiger gegen Polteinfluss geworden sind.“ Zur Erinnerung: Bornemann soll Ende 2011 gemeinsam mit Fritz Dittlbacher nach einer Intervention der SPÖ einen Beitrag über die Inseratenaffäre des Bundeskanzlers aus der ZiB gekickt haben. Der 55 Sekunden lange Bildbeitrag wurde durch eine wesentlich kürzere und unverfänglichere Moderation ersetzt. Bornemann und Dittlbacher haben die politische Einflussnahme dementiert, ihre Entscheidung hätte sie aus rein journalistischen Gründen getroffen. Selbstverständlich.

Bornemann diagnostiziert aber vollkommen richtig: „Die Politik braucht den ORF als Transportmittel um Wähler zu erreichen. Das Unternehmen ORF braucht die Politik für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.“ So weit, so richtig. Nur seine Schlussfolgerung ist falsch: „Das führt zwangsläufig zu wechselseitiger Unzufriedenheit. Weil Politikerwünsche und journalistische Ansprüche diametral auseinandergehen.“ Dass dem nicht so ist, beweist uns der ORF jeden Tag aufs Neue.

Aufbruchsstimmung und Optimismus kommen in den Texten der ORF-Mitarbeiter bestenfalls in Spurenelementen vor. Dabei könnte sich der ORF gerade in Zeiten wie diesen neu erfinden und definieren. Das würde aber auch ein gewisses Maß an Selbstkritik erfordern. Und die fehlt in den Texten in der "Presse" fast vollständig. Schuld sind immer die anderen: die Politik; die private Konkurrenz, Facebook, die technischen Entwicklungen, der herzlose Kapitalismus, internationale Konzerne, etc. Aber der größte Feind des ORF ist offenbar sein Publikum.

Da beneidet etwa Wrabetz „Die Presse“, weil sie als Qualitätszeitung ein „bildungsnahes und kulturaffine Lesermilieu“ hat. Oder anders ausgedrückt, „Die Presse“ muss sich, im Gegensatz zum ORF, nicht mit Vollpfosten herumschlagen. In den Worten von Herrn Wrabetz klingt das so: „Wie formuliere ich eine Nachricht, damit sie von den meisten, im Idealfall von allen verstanden wird?“ Und um zu illustrieren, mit welchen Vollpfosten sich der ORF so herumschlagen muss, hat Armin Wolf ganz einfach an ihn gerichtete Leserbriefe veröffentlicht. Damit soll offenbar dokumentiert werden, wie dumm, rechts, aggressiv und ungebildet viele der ORF-Konsumenten doch sind. Zwar beweisen Einzelfälle und Einzelmeinungen bekanntlich nie etwas, doch die Botschaft ist klar: Wer Armin Wolf kritisiert, ist ein Depp (er hat selbstredend nur dumbe Hassmails und keine klugen Kritiken veröffentlicht). Trotzdem ist der brillante Anchorman bereit, jeden Abend seine journalistischen Perlen vor die Säue zu werfen.

Man könnte fast Mitleid bekommen. Aber nur fast. Schließlich geht es den wenigsten ORF-Mitarbeitern um Objektivität, Unabhängigkeit oder Qualität. Man träumt von den fetten Jahren, als das Zusammenspiel zwischen Politik und Staatsfunk noch weitgehend ungestört und geschmiert gelaufen ist und den ORF-Mitarbeitern ein äußerst gutes Auskommen gesichert hat. Doch mit den sinkenden Quoten sinkt auch die Bedeutung des Staatsfunks, auch für die SPÖ. Mit dem ORF erreicht die SPÖ eben immer weniger (junge) Wähler. Aber wirklich loslassen können und wollen beide Seiten noch nicht. Aber das ist nach einer jahrzehntelangen guten und treuen Ehe auch gar nicht so einfach.